Obwohl die Digitalisierung in deutschen Unternehmen einen spürbaren Schub erlebt hat, kämpft vor allem der Mittelstand noch mit der Umsetzung der Geschäftsprozesse im Digitalen. Fünf entscheidende Hürden.
Ein zentrales Ergebnis einer Bitkom-Studie lautet: „Digital Office und Corona: Mittelstand nutzt Digitalisierungsschub nicht“. Gerade der Mittelstand zeigt bei der Etablierung des Digital Office noch Nachholbedarf. Rund die Hälfte der Unternehmen sieht sich als Nachzügler, wenn es um die Digitalisierung von Geschäftsprozessen geht. Die Gründe hierfür sind vielfältig, doch nach rund zwei Jahren Pandemie lassen sich generelle Hürden identifizieren. Diese Schwierigkeiten betreffen nicht nur das Spannungsfeld aus Fachkräftemangel und zeitlichen sowie finanziellen Ressourcen; die Unternehmen stehen sich auch selbst bei der Digitalisierung von Workflows im Weg.
Oft herrscht anfangs eine gewisse Überforderung, weil die Bedeutung der Digitalisierung von Unternehmensentscheidern zwar als essenziell für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit verstanden wird, die daraus resultierende Bedeutungsschwere – in Kombination mit fehlendem IT-Know-how – eine konkrete Umsetzung aber hemmt. Diese Gedanken sind durchaus nachvollziehbar: Dort wo nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, gibt es auch nur wenig Raum für Fehler; und ein Digitalisierungsprojekt soll sich direkt „lohnen“. Häufig verlaufen gute erste Umsetzungsideen aufgrund dieser eigens kreierten Drucksituation schnell im Sande. Um dieser Situation von Anfang an entgegenzuwirken, ist es wichtig, sich klare Ziele zu setzen.
Die Devise lautet, Schritt für Schritt zu gehen, anstatt alles auf einmal zu stemmen. Oft hilft es schon, sich die Frage zu stellen: Was will ich mit dem Digitalisierungsprojekt genau erreichen? Denn im ersten Schritt muss die Digitalisierung nicht alles und jeden betreffen. Es gilt vielmehr, individuell passend herauszufinden: Was bedeutet Digitalisierung konkret für mich und mein Unternehmen? Was will ich mit dem Projekt bewirken? Mit welchem Bereich könnte ich starten? Oft hilft es, mit einem Pilotprojekt zu beginnen, bei dem die Vorteile der Digitalisierung für alle schnell sichtbar werden.
Werden die KollegInnen aus den betreffenden Fachabteilungen von Anfang an bei der Bestandsanalyse miteinbezogen, profitieren auch die Führungskräfte davon: Meist haben die Beschäftigten in ihren Bereichen viel konkretere Vorstellungen von zielführenden Prozessen, sie kennen sich dort besser aus. Zudem steigt auch die Akzeptanz gegenüber den Veränderungen, wenn die Mitarbeitenden von Beginn an mit eingebunden werden – ein nicht zu unterschätzender Faktor. Wenn im Team dann gemeinsam erarbeitet wurde, welche Prozesse digitalisiert und welche Ziele damit erreicht werden sollen, kann auch eine dafür passende IT-Lösung oder der richtige Umsetzungspartner leichter gefunden werden. Durch diese prozessorientierte Herangehensweise können kleinere wie größere Digitalisierungsziele zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Genau das ist wichtig: Erfolge zu verzeichnen. Diese motivieren und ermöglichen somit eine positive Dynamik beim weiteren Digitalisierungsprozess.
Wer digitale Abläufe im Unternehmen einführt, braucht dafür Ausdauer. Nicht selten gibt es aber, die Erwartungshaltung, dass digitale Projekte so effizient eingeführt werden müssen, dass sie auch schnell zu einem Ende kommen. Doch oft wird hierbei unterschätzt, wie viele personelle Ressourcen solche Change-Prozesse binden – viele Kolleginnen und Kollegen erledigen das neben dem Tagesgeschäft. Unerlässlich ist es dann, nicht zu ungeduldig zu werden und weiter am Ball zu bleiben. Nicht alles muss perfekt gemacht werden, ein Projekt kann auch einmal nur zu 80 Prozent erfüllt werden – dann muss im Anschluss eben nachjustiert werden. Für eine erfolgreiche Digitalisierung gilt somit gerade im Mittelstand: weniger Perfektionismus, mehr Prozessdenken.
Analoge Abläufe lassen sich jedoch nicht über Nacht in digitale Workflows übertragen. Die Digitalisierung ist eher ein „Trial and Error“-Prozess. Führungskräfte haben die wichtige Aufgabe, den Wandel im Unternehmen voranzutreiben – Stichwort Change Management. Doch das ist nicht immer so selbstverständlich wie gedacht. Der fehlende Wille zur Veränderung und veraltete Denkmuster wie Besitzstandsdenken werden zu Bremsblöcken bei der digitalen Transformation. All dies gilt es über Bord zu werfen. Wer die Veränderung selbst nicht lebt, kann nicht von anderen erwarten, dass sie es tun. Angefangen bei den Führungskräften muss der digitale Wandel durchgängig erklärt und moderiert werden. Aus diesem Grund ist es essentiell, auch die Unternehmenskommunikation frühzeitig in Digitalisierungsprojekte mit einzubinden. Nur wenn alle im Unternehmen verstehen, warum es Veränderungen gibt und welche Mehrwerte diese bieten, sind sie auch willens, die Neuerungen positiv anzunehmen und eine neue Arbeitskultur zuzulassen.
Ganz gleich, ob Planungs- oder Umsetzungsphase – die Erfahrung und das Anwendungswissen von Außenstehenden kann helfen, gegebenenfalls fehlende Expertise im eigenen Unternehmen auszugleichen oder die Durchführbarkeit bestehender Pläne professionell überprüfen zu lassen. Allerdings müssen Unternehmen dafür offen sein.
Versäumnisse der letzten Jahre haben dazu geführt, dass der Ausbau von schnellen 5G-Mobilfunk- und Glasfasernetzen nur schleppend vorankommt. Dieser digitale Flickenteppich sorgt dafür, dass es weiterhin kein stabiles und flächendeckendes Netz mit einer ausreichenden Geschwindigkeit und Bandbreite in Deutschland gibt – dieses trifft immer noch die ländlichen Regionen und die dort ansässigen Unternehmen am härtesten. Hier müssen die Ambitionen in Deutschland höher werden, staatliche Subventionen sollten künftig noch zielgerichteter in eine ganzheitliche Digitalisierung fließen, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Die dargestellten Hürden werden nicht ad hoc verschwinden, aber sie sind zu bewältigen. Die Digitalisierung ist für den deutschen Mittelstand nicht das Schreckensgespenst, das zwangsläufig an fehlenden Ressourcen und Fachkräftemangel scheitern muss. Ein prozessorientierter Umgang mit der Transformationsaufgabe kann bereits einen großen Unterschied machen. Während der Pandemie ist die Digitalisierung für viele auch greifbarer geworden, weil sich durch die Notwendigkeit digitaler Workflows ein gewisser Pragmatismus bei der Umsetzung etabliert hat. Diesen pragmatischen Ansatz sollte sich der Mittelstand auch künftig bewahren.
Christopher Rheidt ist Geschäftsführer von TA Triumph-Adler