Im Mittelpunkt der Digitalen Transformation steht bei den meisten Projekten die Neugestaltung von Prozessen beziehungsweise Geschäftsmodellen. Dabei gerät zuweilen ein Aspekt ins Hintertreffen: Wie kann der digitale Wandel in der Produktwelt gelingen?
Durch die Einbettung digitaler Komponenten in ursprünglich rein physische Objekte werden digitale Technologien zunehmend allgegenwärtig. Alltagsgegenstände wie zum Beispiel Uhren, Kleidung, Brillen oder Autos sind mit Mikrocontrollern, Sensoren und „intelligenter“ Software ausgestattet. Angesichts dieser Entwicklungen verfolgt das von der Heinz Nixdorf Stiftung geförderte und vom Münchner Kreis durchgeführte Forschungsprojekt „Neue Produkte in der digitalen Welt“ das Ziel, einen systematischen Überblick über digitale Technologien und ihre Anwendung in neuen Produkten zu geben, charakterisierende Eigenschaften neuer Produkte zu identifizieren, sowie industrieübergreifende Handlungsempfehlungen für den digitalen Wandel der Produktwelt abzuleiten.
Ein Kontinuum an Produkten wird das Digitalzeitalter bestimmen
Während traditionell zwischen physischen und digitalen Produkten unterschieden wurde, ist die digitale Welt durch ein Kontinuum an Produkten und Technologien geprägt. Entstehende Produkte sind häufig nicht mehr eindeutig einer der Kategorien „analog“ beziehungsweise rein physisch (physical) oder „digital” zuzuordnen, sondern bewegen sich zwischen den beiden Extrema. Ein aussagekräftiger Begriff, der zur Bezeichnung dieser „hybriden Produkte“ verwendet werden kann, ist „Digicals”, eine Trademark der Firma Bain. Traditionell rein physische Produkte werden um digitale Fähigkeiten ergänzt und es entstehen erweiterte oder völlig neue Produkte.
Ein Beispiel für „rein physische Produkte und Technologien“ ist der klassische Tisch. Die Kategorie der „rein digitalen Produkte und Technologien“ umfasst zum Beispiel Cloud-Computing oder Data Analytics und bezieht sich somit auf Services oder Technologien, deren physischer Anteil oft nur auf die Hardware begrenzt ist. Diese Gruppe unterscheidet sich von den “hybriden Produkten” beziehungsweise den „Digicals“, die durch die zunehmende Ausstattung rein physischer und bisher passiver Objekte mit Mikrocontrollern, Kommunikationssystemen, Identifikatoren, Sensoren und Aktoren entstehen. Zu diesem Bereich gehört beispielsweise der intelligente Tisch einer Münchner Designmanufaktur, der mit Hunderten Sensoren ausgestattet wurde und so unter anderem in der Lage ist, zu analysieren, was auf der Tischplatte steht und je nach Wunsch unterschiedliche Stellen heizen oder kühlen kann.
Die Digitale Transformation führt somit vielfach nicht zu einer Substitution physischer Produkte durch digitale Lösungen. Sie eröffnet durch eine Kombination physischer und digitaler Elemente vielmehr eine Vielzahl neuer Produkte. Durch ihre Eigenschaften liefern sie Mehrwert, können unter Umständen existierende Produkte kannibalisieren und stellen integrierte Services zur Verfügung, sodass letztlich der Kundennutzen erhöht wird. Hierzu ermöglichen beziehungsweise erfordern sie veränderte Geschäftsmodelle und verändern Produktions- und Serviceprozesse.
Handlungsempfehlungen: Das ist zu tun!
Zur erfolgreichen Umsetzung des digitalen Wan-dels wurden als zentrales Forschungsergebnis zehn Handlungsempfehlungen abgeleitet, die als Leitfaden für den erfolgreichen digitalen Wandel der Produktwelt dienen können:
1. Digitalisierungsvision entwickeln
Für die Gestaltung neuer Produkte und Services in der digitalen Welt ist die Entwicklung einer Digitalisierungsvision erforderlich, die ein ambitioniertes Bild der (digitalen) Zukunft schafft und dadurch Orientierung für die anstehende Digitale Transformation gibt.
Wichtig ist, dass die Digitalisierungsvision einerseits eine klare Richtung vorgibt und ein ambitioniertes Bild der Zukunft schafft. Andererseits sollte sie existierende Innovationsaktivitäten nicht ausbremsen, denn eine Vision kann auch ein Hemmnis bei der Entwicklung neuer Ideen darstellen.
Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen klarer Vision und zu strikten Vorgaben herzustellen.
2. Innovationskultur etablieren
Zudem ist es erforderlich, eine Innovationskultur zu entwickeln. Unternehmen sollten bei der Entwicklung von Innovationen vermehrt auf Risiko setzen und Selbstkannibalisierung als strategische Option verstehen.
In der digitalen Welt wird es immer wichtiger, kreative Problemlösungsansätze zu entwickeln und neuen Ideen Raum zum Wachsen zu geben – unter Umständen auch durch die Gründung von Spin-offs. Des Weiteren muss geprüft werden, in welchen Bereichen Selbstkannibalisierung möglich ist, um Trends nicht zu verschlafen und zu erkennen, wie sich das Geschäftsfeld etablierter Unternehmen durch die Nutzung digitaler Tech-nologien weiterentwickeln kann.