Das potenzielle Einsatzgebiet für künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz wächst stetig, analog zur technologischen Entwicklung. „Lange Zeit konnten digitale Assistenten beziehungsweise Lösungen, die auf künstliche Intelligenz setzen, nur sehr streng definierte Aufgaben übernehmen, zum Beispiel das Ändern von Passwörtern oder Kontoabfragen“, sagt Ryan Lester, Director of Customer Engagement Solutions bei LogMeIn, Anbieter einer Kundenservicelösung auf Basis von KI. „Die Technologie hat allerdings Riesensprünge gemacht, sodass sie jetzt in der Lage ist, auch sehr viel komplexeren Anforderungen gerecht zu werden.“ Künstliche Intelligenz habe daher definitiv das Potenzial zum „autonomen und multifunktionalen Assistenten“. Zum einen kann die Technologie also im Hintergrund arbeiten, Prozesse abteilungsübergreifend strukturieren und optimieren, dabei als Schnittstelle zu unterschiedlichsten Datenquellen dienen. Zum anderen wächst zusehends auch die Kontaktfläche zu den Mitarbeitern sowie Kunden und parallel dazu reifen die Fähigkeiten, mit dem menschlichen Gegenüber zu interagieren. So haben sich im Kundendialog bereits Chatbots etabliert, die Antworten auf einfache schriftliche oder gesprochene Fragen liefern. Aber auch bei internen Abläufen können vergleichbare Lösungen Mitarbeiter bei standardisierten Prozessen unterstützen. „Die größten Lücken ergeben sich hier sicherlich noch aus der generellen Komplexität von Sprache, aber auch aus den in den Unternehmen benutzten Fachterminologien“, berichtet Siepmann. Das System müsse im Einzelfall immer wieder neu trainiert werden, um in der Bürokommunikation beispielsweise Prozesse, Informationsabläufe, Abteilungsbezeichnungen oder Produktnamen zu kennen. Wichtig sei laut dem IBM-Experten, dass selbst ein vortrainiertes KI-System immer nur so gut sein kann, wie die Daten, auf denen es basiert. Trotz dieser Herausforderungen ist sich Hickisch von Atos aber sicher, dass die KI-Lösungen nicht nur im Hintergrund arbeiten, sondern sich langfristig als digitale Assistenten etablieren werden. „Es gibt viele Arbeitsplätze und Anwendungsfälle, bei denen im Hands-free-Modus kommuniziert werden muss – diese verlangen geradezu nach Sprachassistenten.“ Chatbots wären hier die Vorstufe zum komplett digitalen Verkaufsberater. „Spannend wird es, wenn zukünftig verschiedene digitale Helfer zusammenarbeiten und als Netzwerk agieren“, so der Atos-Manager.
Noch ist der Einsatz künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz und in der Kommunikation aber kein Alltag, die Einführung eines entsprechenden Systems stellt Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen. „One size fits all geht hier nicht“, sagt Ryan Lester. „Unternehmen müssen genau hinschauen, wo solche Lösungen ihnen wirklich Mehrwerte bringen.“ Die Entscheidung, welches System wo eingesetzt wird, muss bereichsübergreifend getroffen werden, zwischen den IT-Fachabteilungen, dem Kundenservice und der HR-Abteilung. Denn je stärker das System in Prozesse und Kommunikation eingreift, je mehr Entscheidungen selbstständig getroffen werden, beispielsweise bei der Priorisierung von E-Mails, umso mehr Fragestellungen tun sich auf, in deren Beantwortung viele Bereiche involviert sein sollten. „Damit Mitarbeiter sich nicht bevormundet fühlen, ist es wichtig, dass sie verstehen, nach welchen Kriterien die KI die Nachrichten priorisiert“, stellt Süleyman Karaman, Geschäftsführer des Service Providers Colt, fest. Außerdem sollten sie jederzeit die Möglichkeit haben, die Priorisierung von Nachrichten manuell zu ändern, die künstliche Intelligenz also zu korrigieren. „Die Verantwortung und Kontrolle liegt am Ende auch immer beim Nutzer, der entscheidet, ob und wie er die Technologie nutzt“, sagt auch Petter von Microsoft.
Je leistungsfähiger die KI-Lösungen werden, je ausgeprägter ihre sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten, umso stärker drängen sich aber auch im Business-Einsatz jene ethische Fragen in den Vordergrund, die in abgewandelter Form oftmals auch den Kern vieler Filme und Bücher bildeten. „Ist es für einen Anrufer einer Hotline wichtig zu erkennen und zu wissen, ob er durch eine reale Person oder durch eine intelligente Maschine bedient wird?“, fragt Hickisch. Diese Fragestellung soll noch interessanter werden, wenn es Übergänge zwischen Mensch und Maschine gibt. „Zu Beginn eines Kundenkontakts wird das Gespräch durch einen digitalen Verkaufsberater geführt und erst wenn es konkret wird, übernimmt ein realer Verkaufsberater. Wir müssen also die Anwendungsfälle verstehen und definieren, wann KI und wann reale Personen zum Einsatz kommen.“ Es werde ganz entscheidend darauf ankommen, so der Atos-Manager, Kundenverhalten und -akzeptanz zu erforschen, um KI flächendeckend einführen zu können. Dabei kommen nicht nur persönliche, sondern auch gesellschaftliche Unterschiede zum Tragen. In den USA und in Singapur soll es laut Siepmann deutlich weniger Berührungsängste als in Europa oder speziell in Deutschland geben. „Technisch geht schon recht viel, aber eben mit der Gefahr, dass Benutzer das System dann ablehnen oder ihre eigenen Regeln definieren, bis zu welchem Grad die Maschine ‚mitreden‘ darf.“ Im Zentrum steht daher auch laut dem IBM-Experten, dass der Benutzer die Hilfe einer KI annehmen möchte und weiß, welche Unterstützung er bekommen kann. „Da im Arbeitsalltag ein großer Teil der zu beantwortenden E-Mails eher als Belastung und nicht als wertvolle Arbeit empfunden wird, steht zu erwarten, dass KI hier eine wertvolle Erleichterung darstellt und von Benutzern eher positiv gesehen wird.“
Auch wenn der Einsatz einer KI in der Kunden- oder internen Kommunikation sicherlich kein Alltagsprojekt ist und je nach Bestimmung der Lösung einen hohen Aufwand erfordert, sind die weiterhin zu bewältigenden Herausforderungen aber im Gros nicht technischer Natur. Im Gegenteil. Michael Carl, Managing Director des Think Tanks 2b Ahead, schreibt in einem Gastbeitrag für funkschau, dass viele Hersteller derzeit sogar „die Leistungsfähigkeit ihrer Systeme künstlich einschränken“, um die Nutzer langsam an die Kommunikation mit der künstlichen Intelligenz heranzuführen und Kunden sowie Mitarbeiter nicht zu überfordern. Carl geht davon aus, dass in Zukunft der Mensch im Kundendialog gar außen vor sein könnte und nur noch in Ausnahmefällen in die „Inter-Bot-Kommunikation“ eingreift.
Während die Technologie mit rasenden Schritten voranschreitet und die künstliche Intelligenz mit atemberaubendem Tempo lernt, bleiben es viele gesellschaftliche Fragen, die noch offen sind und auch eine gewisse Vorsicht vor der Mensch-Maschine-Kommunikation, die sicherlich nicht zuletzt von fiktiven Systemen wie „HAL 9000“ geprägt wurden. Dass KI Prozesse und den Austausch in Unternehmen maßgeblich optimieren kann, das steht bei der Diskussion außer Frage. Jeder Nutzer hat auf diesem Weg aber eine eigene Geschwindigkeit, gegebenenfalls individuelle Berührungsängste, die ebenso wie die technischen Aspekte in die Planung entsprechender Lösungen einfließen müssen. „Entscheidend aber ist“, erklärt Siepmann von IBM, „dass der Mensch nicht durch die Technik ersetzt werden soll – mit Ausnahmen wie der Robotik – sondern es vielmehr darum geht, seine Fähigkeiten und sein Wissen zu erweitern oder zu ergänzen.“