Anstatt alle Kräfte zu bündeln, arbeiten viele Behörden und Abteilungen isoliert für sich. Dass es auch anders geht, zeigt sich am Beispiel Stuttgart. Um die Rattenpopulation effektiv zu kontrollieren, setzt man im Ländle auf neue Netzwerklösungen und behördenübergreifendes Teamwork.
Vielen Behörden und Unternehmen fällt es schwer, sich von alten Arbeitsweisen und -methoden zu trennen. Und so arbeitet in den einzelnen Ämtern und Abteilungen zwischen Flensburg und München oftmals jeder weiterhin für sich. Informationen werden nicht geteilt und wichtige Daten und Dokumente landen in Insellösungen oder im Aktenschrank. Ob es in anderen Abteilungen womöglich ähnliche Herausforderungen und bessere Lösungsansätze gibt, ist niemandem bekannt. Kurzum: Die Chancen und Vorteile der Vernetzung und Digitalisierung werden nicht genutzt.
Dass es auch anders geht, zeigt sich in Stuttgart. Hier haben sich die verschiedenen Ämter und Institutionen zusammengeschlossen, um die Rattenpopulation im gesamten Stadtgebiet so effektiv wie möglich zu kontrollieren – verbunden mit dem Ziel, sie nachhaltig zu verringern. Bei der Rattenbekämpfung ist die koordinierte und digitale Zusammenarbeit besonders sinnvoll.
Schließlich halten sich Ratten nicht an von Menschen festgelegte Grenzen – und damit auch nicht an die Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Ämter und Institutionen. Vielmehr fühlen sich die Schadnager in der Kanalisation ebenso wohl wie im Park, wo Tauben gefüttert oder Essensreste vom Picknick zurückgelassen werden. Damit steht die Ratte sinnbildlich für Probleme, die viele Ämter und Abteilung betreffen und dennoch nicht koordiniert angegangen werden. |
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Anstatt sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben und darüber zu streiten, wer für die Ratte zuständig ist, hat man sich in Stuttgart für eine ganzheitliche und überbehördliche Zusammenarbeit entschieden. Das Amt für Öffentliche Ordnung (AföO) übernimmt dabei eine Schlüsselrolle. Gemeinsam mit der Stadtentwässerung Stuttgart (SES), die das Kanalnetz betreibt, werden die Maßnahmen mit dem Garten-, Friedhofs- und Forstamt, dem Gesundheitsamt, dem Amt für Umweltschutz, der Wilhelma sowie der Stuttgarter Straßenbahn (SSB) koordiniert. Regelmäßig treffen sich die involvierten Behörden, um sich auszutauschen, zu evaluieren und abzustimmen.
Die Treffen sind allerdings nur ein Teil der Zusammenarbeit. So haben die involvierten Parteien schnell erkannt, dass eine gemeinsame Datenbasis notwendig ist, um beispielsweise auf Meldungen von Bürgern reagieren zu können, die Ratten gesichtet haben. „In Anbetracht der Herausforderungen müssen alle an einem Strang ziehen und alle Maßnahmen der beteiligten Behörden von Stadt und Land eng abgestimmt werden“, sagt Sabine Dorsch, Verantwortliche für Schädlingsbekämpfung beim Amt für öffentliche Ordnung. „Eine gemeinsame Datenbasis, mit der sich erkennen lässt, wann und wo Problemzonen entstehen, ist maßgeblich für die erfolgreiche Zusammenarbeit“, erklärt sie.
Um die aktuelle Rattensituation teils in Echtzeit über-blicken und bei Bedarf umgehend reagieren zu können, nutzen die Stadtentwässerung und das Amt für öffentliche Ordnung vernetzte Köderschutzboxen. Rattenbesuche werden von den einzelnen Boxen automatisch registriert und per Funk an das Cloud-basierte System übermittelt. Dadurch können die Mitarbeiter über den dazugehörigen Web-Service vom PC aus erkennen, wo sich aktuell Ratten-Hotspots befinden. Auch Angaben etwa zu den eingesetzten Ködern werden so zentral erfasst und dokumentiert.
Von dem System und der gemeinsamen Datenbank profitieren die für die Rattenbekämpfung zuständigen Außenmitarbeiter, für die viele nunmehr unnötige Routinebesuche vor Ort entfallen, und auch die Mitarbeiter in der Verwaltung. Beispielsweise können Anfragen besorgter Bürger, die eine Ratte gesichtet haben, ohne Rücksprache mit anderen Abteilungen direkt beantwortet werden. Denn über die gemeinsame Nutzeroberfläche lässt sich unmittelbar erkennen, ob der Rattenbefall bekannt ist und ob bereits Maßnahmen vor Ort ergriffen wurden. Indem die SES ihre Online-Lösung mit dem AföO teilt, können die zuständigen Mitarbeiter also schnell und präzise Auskunft geben. Die digitale Kooperation spart abermals Zeit und Ressourcen, was letztlich auch den Bürgern zugutekommt.
Dass eine enge und vernetzte Zusammenarbeit deutlich zielführender ist, als mit Scheuklappen auf Silo-Lösungen zu setzen, ist beiden Seiten bewusst. Während die SES die Umsetzung der Maßnahmen im Kanalnetz verantwortet, übernimmt das AföO die Hauptrolle in der Koordination. „Als Netzbetreiber übernehmen wir in Abstimmung mit dem AföO gerne wesentliche Aufgaben bei der Rattenbekämpfung, um unser Personal zu schützen, und stellen die gemeinsame Online-Plattform zur Verfügung, von der alle profitieren können“, sagt Jürgen Sprich, Dienststellenleiter des Kanalbetriebs der Stadtentwässerung Stuttgart (SES). „Wir begrüßen die Zusammenarbeit mit allen betroffenen Behörden ausdrücklich und teilen unsere Kompetenz gerne.“
Sein Kollege im Amt für öffentliche Ordnung, Albrecht Stadler, zieht ebenfalls ein positives Fazit. „Die engere Verzahnung und Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen ist ein bedeutender Schritt. Wir werben deshalb gerne dafür, dass sich möglichst viele an die Online-Plattform anschließen“, so der verantwortliche Abteilungsleiter des AföO. „Außerdem möchten wir dieses Erfolgsrezept bei der überbehördlichen Zusammenarbeit gerne mit anderen Städten, Gemeinden und Kommunen teilen, denn es bringt viele Vorteile.“
Es ist also gut möglich, dass das überbehördliche Vorgehen in Stuttgart und die Nutzung digitaler Lösungen dazu beiträgt, dass die Rattenbekämpfung auch in anderen Teilen Deutschland bald deutlich effektiver wird. Mit dieser Denk- und Vorgehensweise lässt sich allerdings noch wesentlich mehr erreichen, als der Verbreitung von Schadnagern Einhalt zu gebieten. Dank digitaler Lösungen und Amts- und Abteilungsleiter, die über ihren Tellerrand hinausschauen, könnten viele Probleme gelöst werden, an deren Bewältigung zurzeit häufig noch hinter verschlossenen Türen gearbeitet wird. Anstatt sich zu fragen, wem die „Ratte“ gehört, sollte man wie in Stuttgart also lieber darüber nachdenken, wie das Problem am besten gemeinsam gelöst werden kann.
Tillmann Braun, freier Journalist