Muss die deutsche Wirtschaft mit Amazon, Booking oder anderen Digitalriesen ins Bett steigen? Oder misstraut man lieber mächtigen Digitalplattformen, die Märkte monopolisieren? Diese Angst sei doch ein »Märchen«, sagt Bitkom-Chef Achim Berg.
Müssen deutsche Unternehmen, um erfolgreich im E-Commerce-Geschäft zu sein, Vertriebspartnerschaften mit Amazon oder anderen Internetplattformen schließen? Diese Frage spaltet die Wirtschaft. Laut einer Studie des Bitkom sagen 63 Prozent der Unternehmen, dass eine Nutzung solcher Plattformen mehr Vor- als Nachteile mit sich bringe. Mehr als ein Viertel sehen ihr Geschäft aber gefährdet, wenn sie ihre Produkte und Dienstleistungen über Amazon & Co anbieten.
Aber auch jene Unternehmen, die mit Digitalplattformen der E-Commerce-Riesen schon einen Vertriebskanal etabliert haben, fühlen sich nicht gut aufgehoben. Mehr als die Hälfte sieht nämlich durchaus eine drohende Monopolbildung, zu der sie ja mit ihrer Kooperationsstrategie aktiv beitragen.
Hoteliers zum Beispiel. Einer marktführenden Plattform wie Booking können und wollen sich viele Hotels nicht verweigern. Die enorme Reichweite dieser Plattform generiert Geschäft, steigert ihre Auslastung und ersetzt Investitionen in ein eigenes System. Einzelkämpfer müssten viel Geld ins Marketing stecken – und hätten dennoch nicht so viel Erfolg, als wenn sie sich bekannten Internet-Plattformen anschließen würden.
Der Preis freilich, den Hoteliers als Teilnehmer an der Plattformökonomie zahlen, ist eine große Abhängigkeit vom mächtigen Marktplatzbetreiber. Auf das Provisionsmodell der US-Amerikaner haben die Partner keinen Einfluss. Man nimmt die Gefahr in Kauf, einen Quasimonopolisten noch stärker zu machen als er ohnehin schon ist.
Bitkom-Chef Achim Berg schlägt solche Befürchtungen in den Wind. Das sei doch »ein Märchen«, sagt er. Klar, gäbe es gerade im E-Commerce wenige globale Player wie etwa Amazon, Ebay oder Alibaba. Andererseits verweist er auf Generalisten wie Otto, Real und Idealo sowie auf Spezialisten wie Home24, Zalando oder den Schuhhändler Mirapodo. »Auf jedem Markt gibt es Platz für mehr als eine digitale Plattform. Und es profitieren nicht nur die Betreiber.«
Nun darf man von einem Präsidenten des größten ITK-Lobbyverbands hierzulande nicht erwarten, dass er Wettbewerbshütern und Kartellämtern Schützenhilfe leistet, die immer wieder eine Zerschlagung monopolistischer Digitalriesen ins Spiel bringen. Amazon, Alibaba, Google und Facebook sind schließlich Mitglied im Bitkom, der damit auch ihre Geschäftsmodelle ins rechte Licht zu setzen hat.
Und das tut der Verband bei jeder Gelegenheit. Er tut es auch dann, wenn er schweigt. Wenn Berg über gravierende Folgen von allzu mächtigen Playern der Plattformökonomie hinweggeht.
Amazon beispielsweise kennt jede Transaktion seiner Marketplace-Händler und steht mit Amazon Retail oft genug im Wettbewerb zum Geschäft seiner Partner. Zulieferer wie Distributoren klagen über unfaires Geschäftsgebaren mit der Folge, dass viele deutsche Distributoren das Geschäft mit Amazon mittlerweile deutlich heruntergefahren haben.
Prekäre Arbeitsverhälnisse
Quasimonopole diktieren aber nicht nur, zu welchen Konditionen Zulieferer zuliefern sollen und Händler ihrem Plattformgeschäft »beitreten« dürfen. Sie schaffen auch prekäre Arbeitsverhälnisse für Mitarbeiter, wenn sie denn überhaupt eigenes Personal für ihr Geschäftsmodell brauchen.
Flexibilisierung der Arbeit, angeblich ganz in Sinne vermeintlich selbständiger Sub-Unternehmer und Crowedworker, zielt auf nichts anderes als auf die Abschaffung des sozialstaatlichen Fundaments, auf dem wachsender Wohlstand sowohl für Unternehmer als auch für eine breite Mittelschicht möglich war und immer noch ist – trotz aller wachsenden Ungleichheit.
Was ist so schlecht an Werten wie Einkommenssicherheit durch angestellte Erwerbsarbeit, was so gut an 24x7-Verfügbarkeit eines bis zur Selbstaufgabe arbeitenden Digitalnomaden oder Juicers, der nachts Elekroroller einsammelt und zuhause auflädt?
»Die Plattformökonomie, bei der die Aufträge über große Internetportale oder Apps vermittelt werden, bietet ihren Mitarbeitern das Schlechteste aus beiden Welten: die Unfreiheit von Angestellten, verbunden mit der Unsicherheit von Freelancern«, sagt Politikwissenschaftler Colin Crouch im SZ-Interview.
Wenn Bitkom-Präsident Berg Sorgen der Wirtschaft über immer mächtiger werdende Digitalplattformen mit dem Verweis auf Märchen zu zerstreuen versucht, hat er natürlich Recht. Denn im Märchen gibt es meist ein Ende mit glücklichem Ausgang. Das ist im Business mit Digitalplattformen mehr als ungewiss - und zwar für beide Akteure im Markt: Kapital und Arbeit.