Andreas Zipser wird wissen, worauf er sich bei Easy Software einlässt. Die Mülheimer Softwareschmiede kam in den letzten Jahren eigentlich nie zur Ruhe. Die WAZ berichtete regelmäßig über kleinere (zweckentfremdete VIP-Tickets) und größere Skandale (überteuerte Zukäufe von mit Organen der AG verbundenen Firmen). Das OLG Düsseldorf hatte regelmäßig zu entscheiden, ob ehemalige Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder Easy Software als Selbstbedienungsladen ansahen. Der vorerst jüngste Machtkampf zwischen Aufsichtsrat und Vorstand kostete im März 2020 dem damaligen Chef Dieter Weisshaar wegen angeblicher Pflichtverletzungen fristlos den Job. Dieser Streit geht vor Gericht weiter, denn Weisshaar will seinen guten Ruf nicht beschädigt sehen. Wenigstens die jahrelangen Prozesse gegen die ehemaligen Manager Gereon Neuhaus und Manfred A. Wagner sind seit vergangenen Oktober vom Tisch.
Wann kann sich ein Vorstandschef einer Easy Software endlich um Strategie, Entwicklung und Anschluss an die Cloud sowie Partnerökosystem und Top-Führungskräfte kümmern? Also um nichts weniger als die Zukunft eines traditionsreichen deutschen Softwareherstellers, der rund 400 Mitarbeiter beschäftigt.
Alleinvorstand Krautscheid, kein Softwareexperte, ist überfordert. Auch und gerade in der Kommunikation. Journalisten gerichtlich einen Maulkorb verpassen zu wollen, persönliche Feldzüge gegen missliebige Aktionäre öffentlich im Blog auszutragen, das spricht nicht für Souveränität.
Zipser kann ein neues - womöglich skandalbefreites - Kapital aufschlagen, sofern der neue Investor Battery Ventures ein langfristiges Interesse an seiner Beteiligung haben sollte, das Entwicklungspotential sieht und nicht nur den schnellen Exit. Die Branchen- und Führungserfahrung bringt der Sage-Manager mit, den professionellen Umgang mit Journalisten beherrscht er auch.
Wie man Partner bei einer sich durch den Cloudbezug rasant ändernden Applikationswelt bei der Stange hält, auch hier kann Zipser für die Channel-Strategie von Easy Software wertvolle Erfahrungen mitbringen. Zipser hat ohne Zweifel Technologie-Kompetenz, vielleicht erwächst dem 49-Jährigen auch die Autorität, endlich den jahrelangen Kampf-und Krampfmodus bei Easy Software stoppen zu können.