LANline: Laut Ihrem Report vom März ist der PUE-Wert deutscher Rechenzentren zwischen 2010 und 2020 von 1,98 auf 1,63 gesunken. Wer sind hierzulande neben den Hyperscalern die Vorreiter beim energieeffizienten RZ-Betrieb?
Ralph Hintemann: Hier ist insgesamt einiges passiert, fast alle RZ-Betreiber sind die „low-hanging fruits“ angegangen. Der Rückgang ist aber insbesondere darauf zurückzuführen, dass wir in letzten Jahren fast nur bei den großen Rechenzentren Wachstum erlebt haben, insbesondere bei den ganz großen Rechenzentren. Und neue große Rechenzentren sind im Normalfall einfach effizienter als kleine bestehende.
LANline: Wie hoch ist ihrer Einschätzung nach der Anteil der Rechenzentren in Deutschland, deren Technikstand man unter Energieeffizienz-Gesichtspunkten als veraltet einstufen müsste?
Ralph Hintemann: Dazu erst einmal ein paar Zahlen: Aktuell sind etwa ein Drittel der Rechenzentrumskapazitäten in Installationen mit weniger als 50 kW. Fast die Hälfte der Kapazitäten sind in sehr großen Rechenzentren mit mehr als 5 MW Leistung. In den letzten zehn Jahren haben sich die RZ-Kapazitäten in Deutschland um 80 Prozent erhöht, und auch bei den bestehenden Rechenzentren wurde einiges modernisiert. Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass deutlich weniger als ein Drittel der Rechenzentren als veraltet bezeichnet werden können. Das heißt aber nicht, dass nicht auch in den anderen Rechenzentren noch erhebliche ungenutzte Effizienzpotenziale schlummern.
LANline: Unter welchen Umständen ist es denn für Unternehmen heute sinnvoll, aus Energieeffizienz-Gründen auf Cloud-Services oder andere externe Provider umzusteigen, statt das eigene Rechenzentrum auf den Stand der Technik zu bringen?
Ralph Hintemann: Da gehen die Aussagen der Fachleute auseinander. Manche Experten argumentieren, gerade für kleinere Unternehmen sei die Cloud oft gar nicht wirtschaftlicher. Baut man aber heute ein kleines Rechenzentrum, stellt sich die Frage, ob sich der Aufwand für Effizienzmaßnahmen wie die freie Kühlung überhaupt lohnt. Doch selbst ohne freie Kühlung kommt man mit intelligenter Gestaltung des Rechenzentrums auf gleich gute Werte wie bei großen Rechenzentren. Groß heißt also nicht automatisch effizienter. Colocation-Rechenzentren zum Beispiel sind oft erst mal nicht voll ausgelastet und damit weniger effizient, denn die Kapazitäten mussen erst einmal vermietet und mit IT-Hardware ausgestattet werden. Dann stellt sich die Frage: Ab wann ist Colocation ökologisch effizienter?
Um ein kleines Rechenzentrum hocheffizient zu machen, könnte man beispielsweise mit Heißwasserkühlung arbeiten wie im HPC-Umfeld (High-Performance Computing, d.Red.) üblich. Dann wäre das kleine Rechenzentrum allein dadurch effizienter als viele große. Generell geht der Trend in Richtung hybrider Modelle, man überlegt also: Wofür brauche ich tatsächlich eigene Systeme und was kann ich besser in der Cloud laufen lassen?
LANline: Ist denn die Verlagerung von Rechenleistung nach Skandinavien, wo freie Kühlung und oft auch „grüner“ Strom verfügbar ist, für deutsche Unternehmen eine Alternative?
Ralph Hintemann: Das ist auf jeden Fall eine Option für alles, was latenzunkritisch ist. Deutsche Unternehmen nutzen das teils auch schon, einfach weil RZ-Leistung dort billiger zu beziehen ist.
LANline: Neben der energieeffizienten RZ-Infrastruktur wäre die Nutzung von RZ-Abwärme ein weiterer großer Hebel für mehr Nachhaltigkeit. Welche RZ-Betreiber nutzen denn Stand heute die Abwärme aus ihren Rechenzentren am wirksamsten?
Ralph Hintemann: Da steht Deutschland wirklich ganz am Anfang, zumindest bei der Nutzung großer Abwärmeanteile. Viele RZ-Betreiber beheizen ihre eigenen Büroräume mit der Abluft aus dem Rechenzentrum, das macht aber nur oft nur minimale Anteile der Abwärme aus. Echte Projekte, bei denen massiv Abwärme aus Rechenzentren für Fernwärme oder umliegende Gebäude genutzt wird, gibt es relativ selten. Ein aktueller Fall ist das Projekt Westville in Frankfurt. Dort werden 2022/23 die ersten Bewohner einziehen und dann unter anderem mittels Abwärme aus einem Rechenzentrum versorgt.
LANline: Kritisch droht die Lage des RZ-Energieverbrauchs am „RZ-Hot-Spot“ Frankfurt zu werden. Auch Sie erwarten laut einem Report aus diesem Jahr, dass „der Stromverbrauch der Rechenzentren im Stadtgebiet Frankfurt von 1 Mrd. kWh im Jahr 2017 bis auf über 4 Mrd. kWh im Jahr 2025 ansteigen“ kann. Damit könnte man wohl bald ganz Frankfurt beheizen – Sie haben ja das Projekt von Mainova und Telehouse erwähnt. Wie verbreitet sind solche Ansätze in Deutschland?
Ralph Hintemann: Bislang sind noch wenige Projekte realisiert. Im Eurotheum im Frankfurt wird Abwärme aus einem Rechenzentrum genutzt, und ein ähnliches Ziel wie Westville verfolgt ein Projekt in Braunschweig. In Frankfurt ist allerdings einiges in Planung: In Hattersheim will die Stadt ein neues Wohngebiet mit zirka 500 Wohneinheiten mit RZ-Abwärme versorgen. Fast jeder große RZ-Betreiber in Frankfurt befasst sich mit dem Thema. An Forschungs- und Hochschul-Rechenzentren wiederum findet man Projekte mit dem Ziel, die Abwärme aus dem HPC-Einsatz für die Wärmeversorgung des Universitätscampus zu nutzen. Als Problem erweist sich dabei häufig, die RZ-Abwärme in das Versorgungsnetz einzuspeisen, nicht zuletzt aufgrund lang laufender Lieferverträge. Technisch wäre es möglich, aber von Vertragsseite ist das oft gar nicht so einfach.