Bis Quantencomputer in der Praxis ankommen, wird es noch dauern. Der „Fujitsu Digital Annealer“, der 2019 vorgestellt und seither weiterentwickelt wurde, setzt daher auf eine quanteninspirierte Brückentechnologie. Was sich dahinter verbirgt und welche Vor- und Nachteile ein Digital Annealer gegenüber Quantencomputern hat, erläutert Joseph Reger von Fujitsu im funkschau-Interview.
funkschau: Was ist der „Digital Annealer“ von Fujitsu im Detail?
Joseph Reger: Mit Quanten-Annealern gibt es eine spezielle Art von Quantenrechnern. Sie lösen Optimierungsaufgaben besonders schnell und ermöglichen die Optimierung hoch komplexer Aufgabenstellungen und Systeme in nahezu Echtzeit. Das lässt sich nutzen, weil fast jede Fragestellung in ein Optimierungsproblem umgewandelt werden kann. Digital Annealer arbeiten auf dieselbe Weise, allerdings ohne Quantenhardware. Fujitsu hat die entscheidenden Quanteneffekte auf klassischer Hardware nachgebildet. Der Digital Annealer benötigt daher keine aufwendige Betriebsumgebung und produziert keine Quantenfehler. Dennoch bietet er eine etwa 10.000-mal schnellere Optimierung als andere Systeme.
funkschau: Kommt im Digital Annealer somit eine herkömmliche Rechnerarchitektur zum Einsatz?
Reger: Nein, der Digital Annealer und sein Prozessor, die Digital Annealing Unit (DAU), basieren auf einer speziellen Architektur. Die CPU wird aber in herkömmlicher Halbleitertechnik gefertigt. Quanteninspiriert bedeutet also: Der Digital Annealer verwendet einige Verfahren der Quantenphysik, ohne selbst in einem Quantenzustand zu sein. Eine Fragestellung wird wie auf einem Quanten-Annealer programmiert und in den Digital Annealer geladen. Die Kostenfunktionen werden dabei durch eine mathematische Abbildung in eine Form gebracht, deren Minima der Digital Annealer innerhalb kurzer Zeit liefert. Bei manchen Fragestellungen übertrifft der Digital Annealer sogar einen Quanten-Annealer.
funkschau: Welche Vorteile hat ein Digital Annealer also im Vergleich zu einem Quantencomputer?
Reger: Zu den Vorteilen gehören ganz klar die einfachere Handhabung, die kompakten Maße und die Betriebsbedingungen. Der Digital Annealer lässt sich beispielsweise im Gegensatz zu einem Quantenrechner in einer Fabrik neben einer Produktionslinie installieren und führt in Echtzeit eine Optimierung von Fertigungsprozessen durch. Das kann ein Quantenrechner nicht. Denn dieser steht in einem speziellen Rechenzentrum und die Latenzzeiten bei der Datenübertragung sind für Echtzeitanalysen zu hoch. Der Digital Annealer ist bereits heute verfügbar.
funkschau: Und in welchen Bereichen schneidet ein Digital Annealer nicht so gut ab?
Reger: Der Digital Annealer ist nicht voll umfänglich mit einem Quantenrechner vergleichbar. Er ist „nur“ für Optimierungsaufgaben ausgelegt. Neu entwickelte Algorithmen, etwa um eine Verschlüsselung zu brechen, kann der Digital Annealer nicht leisten. Im Vergleich zu einem Quanten-Annealer sehen wir jedoch kaum Nachteile. Bislang sind wir auf keine Fragestellung gestoßen, für die das Nachahmen der Quanteneffekte nicht ausreichte.
funkschau: Fujitsu hat den Digital Annealer erstmals vor rund zwei Jahren präsentiert. Wie haben sich das Konzept und die Technologie seitdem weiterentwickelt?
Reger: Wir haben zwei neue Generationen der Hardware im Portfolio. 2019 standen noch 1024 Bit zur Verfügung, heute sind es bereits 8192 Bit in einem Chip. Außerdem lassen sich mehrere Prozessoren miteinander kombinieren. Dadurch kann ein Digital Annealer noch komplexere Aufgaben meistern.
funkschau: Und welche Vorbereitungen muss ein Unternehmen gegebenenfalls treffen, damit es einen Digital Annealer selbst einsetzen kann?
Reger: Wir empfehlen, dass ein Kunde zusammen mit Fujitsu ein Proof-of-Concept-Projekt durchführt. Dafür bestimmen Experten von Fujitsu gemeinsam mit dem Unternehmen die Funktion, die optimiert werden soll, und bilden sie in einer Form ab, die der Digital Annealer verarbeiten kann. Die Experten des Kunden lernen auf diese Weise, wie das System zu programmieren und zu bedienen ist. Für diese Aufgabe sind vor allem Mathematiker, Physiker und Ingenieure mit Programmierkenntnissen gefragt.
funkschau: Wie schätzen Sie das Potenzial von Quantum Computing in den kommenden Jahren ein?
Reger: Quantenrechner können der Industrie in Deutschland einen enormen Schub geben. Doch praxistaugliche Systeme werden vermutlich noch vier bis acht Jahre auf sich warten lassen. Dagegen steht mit quanteninspirierten Systemen wie dem Digital Annealer eine Brückentechnologie bereit, die sich bereits heute im Produktivbetrieb einsetzen lässt und zu enormen Vorteilen führt.