Kurz-Check zum BFSG

Gesetz zur digitalen Barrierefreiheit betrifft auch ITK-Reseller

11. Dezember 2023, 11:30 Uhr | Autorin: Gabriele Horcher / Redaktion: Diana Künstler
© momius/AdobeStock

Produkte und Dienstleistungen, die digital genutzt werden, müssen ab Juni 2025 barrierefrei(er) sein. Neben Herstellern und Importeuren können auch ITK-Fachhändler mehrfach von den Anforderungen des BFSG betroffen sein. Zwei Kurz-Checks liefern Klarheit.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG)1 verpflichtet erstmals auch private Wirtschaftsakteure zu mehr digitaler Barrierefreiheit. Produkte und Dienstleistungen, die digital genutzt werden – zum Beispiel Computer und Smartphones, aber auch Telekommunikations- und Bankendienstleistungen –, müssen ab dem 29.06.2025 barrierefrei(er) sein. Doch nicht nur Hersteller, Importeure und Händler der Produkte oder Anbieter der Dienstleistungen sind betroffen: Alle Unternehmen und sogar Vereine müssen bis zum 28.06.2025 – unter Umständen – Apps, Online-Shops sowie Webseiten barrierefrei gestalten. ITK-Fachhändler können deshalb gleich mehrfach von den Anforderungen des BFSG betroffen sein.

Finden Sie anhand von zwei Kurz-Checks heraus, ob Sie einfach oder sogar mehrfach davon betroffen sind. Aber lesen Sie auch welche Vorteile Ihnen die Barrierefreiheit bietet.

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Erster Kurz-Check:

Sind Sie Importeur, Distributor, Channel-Partner oder Reseller eines der folgenden Produkte …

  • Fernsehgeräte mit Internetzugang
  • Router
  • Computer, Notebooks, Tablets
  • Smartphones, Mobiltelefone
  • E-Book-Reader

… oder Dienstleistungen?

  • Telefon- oder Messenger-Dienstleistungen (Telemedien)
  • Bankdienstleistungen
  • Leistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce)

Wenn Sie eines der Produkte importieren, vermarkten oder direkt an Verbraucher verkaufen. Oder wenn Sie eine dieser Dienstleistungen mitanbieten, gehören Sie zu den Wirtschaftsakteuren, die zukünftig dafür Sorge tragen müssen, dass alle Produkte, die nach dem Stichtag 28.06.2025 produziert werden, und alle Dienstleistungen, die ab dem 29.06.2025 genutzt werden, den Anforderungen des BFSG entsprechen. Das betrifft bei den Dienstleistungen auch alle laufenden Verträge, die vorher abgeschlossen wurden.

Umsetzungs-Tipps

  1. Für Sie wird die Auswahl Ihrer Lieferanten und Partner entscheidend sein.
  2. Überprüfen Sie rechtzeitig Ihre Verträge, und lassen Sie sich von den Herstellern über den Stand der Barrierefreiheit informieren – beziehungsweise jetzt schon zusichern, dass die produzierten Produkte ab dem Stichtag barrierefrei sein werden.
  3. Nehmen Sie diese Pflicht ernst: Marktüberwachungsbehörden können – auch initiiert durch Verbraucher, Verbraucherverbände oder Mitbewerber – dafür sorgen, dass Sie die Produkte in ganz Europa nicht mehr einführen oder verkaufen dürfen. Darüber hinaus können Bußgelder bis 100.000 Euro erhoben werden.

Zweiter Kurz-Check

Gehören Sie zu den Leistungserbringern?
Viele Organisationen nutzen bei der digitalen Kommunikation mit Verbrauchern Dienstleistungen der Telemedien, Bankdienstleistungen oder Leistungen des elektronischen Geschäftsverkehrs (E-Commerce). Damit werden Sie – dem BFSG nach – zu sogenannten Leistungserbringern.

Wenn Sie nur eine der folgenden Fragen mit „Ja“ beantworten, gehören Sie zu den Wirtschaftsakteuren, die bis zum Stichtag ihre Apps, Online-Shops oder Webseiten für Verbraucher barrierefrei(er) gestalten müssen. Davon gibt es nur diese zwei Ausnahmen:

  • Sie sind ein Kleinstunternehmen, mit weniger als 2 Millionen Euro Umsatz oder weniger als zehn Mitarbeitern. Aber Achtung: Die Kleinstunternehmen-Regelung entbindet Sie nicht vor Ihre Pflichten aus dem ersten Kurz-Check.
  • Oder Ihre Apps, Online-Shops und Webseiten werden nicht von Verbrauchern genutzt – denn das Gesetz wurde nur zur Stärkung von Verbraucher/innen erlassen.

Fragen zu Apps/Online-Shop*:

  • Können Verbraucher beispielsweise Produkte per App bewerten oder an Gewinnspielen teilnehmen?
  • Können Verbraucher über Ihren Online-Shop Produkte (mit oder ohne Verträge), Zubehör oder Geschenkgutscheine kaufen?

Fragen zur Website**:

  • Können Verbraucher über Ihre Website Termine buchen – zum Beispiel für Beratungen?
  • Können sich Verbraucher auf Ihrer Seite in einen Kundenbereich einloggen, um zum Beispiel auf ihre Bestellhistorie zuzugreifen, Verträge zu verlängern oder zu kündigen?
  • Können Verbraucher über ein Help-Desk-System ein Support-Ticket eröffnen, wenn sie Fragen oder Reklamationen haben?
  • Können Verbraucher Sie über ein Kontaktformular, einen Chatbot oder einen Rückrufservice kontaktieren?

* Wenn die App oder der Online-Shop in Ihre Website integriert sind, müssen sowohl die App beziehungsweis der Shop als auch die gesamte Website barrierefrei gestaltet sein. Wenn Sie nur auf eine separate App oder einen separaten Online-Shop verlinken, die nicht direkt mit Ihrer Website verknüpft sind, müssen Sie möglicherweise nur die App oder den Online-Shop barrierefrei gestalten.

Vorsicht jedoch bei der Ermittlung, ob Sie zu den Kleinstunternehmen gehören: Es kommt nicht auf den Jahresumsatz der App oder des Online-Shops und die Anzahl der dafür beschäftigten Mitarbeiter an, sondern auf die Zahlen Ihres gesamten Unternehmens. Es sei denn, Sie haben die App oder den Online-Shop als eigenständiges Unternehmen gegründet.

** Wenn die Services auf Ihrer Website mit einer Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr in Verbindung stehen, bedeutet das, dass nach den Vorschriften des BFSG die gesamte Website barrierefrei gestaltet sein muss.

Umsetzungs-Tipps

  1. Wenn Sie als ITK-Fachhändler kein Kleinstunternehmen sind, die Barrierefreiheit keine grundlegende Veränderung der Wesensmerkmale Ihrer Leistung ergibt oder es für Ihre Organisation keine unverhältnismäßige Belastung darstellt – dann sollten Sie sofort Maßnahmen planen.
  2. Nutzen Sie zum Beispiel App- oder Online-Shop-Anbieter, deren Produkte und Dienstleistungen bereits barrierefrei sind – beziehungsweise die Ihnen jetzt schon zusichern können, dass deren Dienstleistungen bis zum Stichtag barrierefrei sein werden.
  3. Oder nutzen Sie Services, die Ihre Website durch die Integration einer einzigen Codezeile barrierefreier machen.
  4. Optimieren Sie die Ergebnisse optional mit KI-basierten Technologien wie zum Beispiel Text-in-Sprache- oder Sprache-in-Text-Umwandlung. Bieten Sie Nutzern alternative Methoden für die physische Bedienung eines Online-Shops durch Sprachsteuerung oder durch eine Steuerung per Augenbewegung. Oder formulieren Sie komplexe Texte per KI in einfache Sprache um.
  5. Planen Sie die Umsetzung rechtzeitig mit internen und externen Dienstleistern, um die geforderten Änderungen möglichst noch weit vor dem Stichtag zu realisieren. Anfang 2025 werden alle entsprechenden Dienstleister ausgebucht sein.

Warum mehr Barrierefreiheit auch Vorteile bietet

Jeder Zweite in Deutschland würde von mehr digitaler Barrierefreiheit profitieren. Motorisch oder sensorisch behindert sind wir schon, sobald wir ein Kind auf dem Arm halten. Eine visuelle Beeinträchtigung bemerkt jeder, wenn Sonneneinstrahlung verhindert, dass wir auf dem Display alles gut erkennen können. Eine auditorische Behinderung kann bereits durch den Umgebungslärm eines Großraumbüros oder einer Baustelle entstehen. Kognitiv beeinträchtigt sind wir, wenn wir versuchen, Multitasking zu betreiben, oder wenn jemand zum Geburtstag einen Sekt ausgegeben hat. Situative Einschränkungen sind vielfältig und sie passieren jedem.

Zudem gibt es temporäre Behinderungen: wie zum Beispiel den Arm in Gips oder den Verband um den schmerzenden Finger. Vielleicht ist ein Auge verletzt oder wir haben gerade unsere Brille verlegt. Auch eine Ohrenentzündung, ein Hörsturz, Migräne oder Müdigkeit können uns bei der Bedienung von Apps, Online-Shops, Webseiten, E-Books und digitalen Dokumenten beeinträchtigen.

Die Anzahl derer, die mit situativen und temporären Behinderungen zu kämpfen haben, lässt sich statistisch nicht erfassen. Zugleich liegt die Zahl derer, die permanent betroffen sind, aber höher, als man denkt:

  • Es gibt in Deutschland etwa 10,4 Millionen Menschen mit einer dauerhaften Behinderung2. 7,8 Millionen Menschen mit einer schweren und 2,6 Millionen mit einer leichten Behinderung. Das sind circa 12,5 Prozent der Bevölkerung.
  • Und in einer stetig alternden Bevölkerung nimmt der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen zu. 18,2 Millionen Menschen – fast 22 Prozent – sind über 65 Jahre alt.
  • Darüber hinaus sind rund 15 Prozent der Menschen, die in Deutschland leben, keine Muttersprachler. 4,1 Millionen Menschen in Deutschland sprechen zuhause gar kein Deutsch. Für weitere 8,2 Millionen ist Deutsch im Haushalt nicht die überwiegend gesprochene Sprache.
  • Hinzu kommen in Deutschland noch 6,2 Millionen Menschen, die nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben können. Das sind 7,5 Prozent der Bevölkerung.
Gabriele Horcher, Kommunikations-Wissenschaftlerin
Die Autorin Gabriele Horcher beantwotet als Kommunikations-Strategin die wichtigsten Fragen zum – inzwischen rapiden – disruptiven Wandel in allen Bereichen der Kommunikation. Sie ist Keynote Speakerin, Bestseller-Autorin und Transformational Coach.
© Gabriele Horcher

Zusammengefasst sind 47,1 Millionen Menschen betroffen. Sicher gibt es Schnittmengen der Betroffenen-Gruppen und damit in dieser Zahl eine gewisse Mehrfach-Erfassung. Dennoch lässt sich unterm Strich wohl sagen, dass jeder Zweite in Deutschland von digitaler Barrierefreiheit profitieren würde. Und demnach könnten noch viel mehr Menschen noch viel einfacher bei Ihnen kaufen – egal ob barrierefreie Produkte und Dienstleistungen oder Zubehör.

Deshalb ist für Sie nicht allein die Frage entscheidend, ob Sie als Organisation rein rechtlich unter das BFSG fallen. Sondern ob Sie die wichtige Zielgruppe der Menschen mit einer dauerhaften, temporären oder auch nur situationsbedingten Beeinträchtigung weiterhin als mögliche Kunden ausschließen wollen.

Die Kurz-Checks und Informationen (Stand Oktober 2023) stellen eine Orientierungshilfe dar – sie sind keine Rechtsberatung. Außerdem können die Forderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes noch angepasst oder erweitert werden.

Das Gesetz ist unter unter https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz.html einsehbar. Die etwas leichter verständlichen Leitlinien zum Gesetz finden sich hier: https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/leitlinien-und-rechtsverordnung-zum-bfsg.html.

1 https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz.html

2 www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/Focus/JoHM_01_2022_Gesundheit_Menschen_mit_Beeintraechtigungen.pdf?__blob=publicationFile


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