Vor diesem Hintergrund hat sich das „softwaredefinierte“ Weitverkehrsnetz (Software-Defined Wide Area Network, SD-WAN) vor ein paar Jahren den Hype-Heiligenschein geschnappt. Der Begriff „Software-Defined“ ist auf den ersten Blick irreführend: Alles in der IT ist letztlich „softwaredefiniert“, wäre doch jede Hardware ohne passende Software nur Elektroschrott. Auch MPLS-Netze arbeiten nicht „hardwaredefiniert“, machen doch die MPLS-Labels nicht „Klonk!“, wenn sie runterfallen. Der Begriff „SD-WAN“ jedoch soll aussagen: Dynamische Softwaresteuerung gestaltet das Weitverkehrsnetz so flexibel, wie man dies von virtualisierten Servern und Storage-Geräten oder containerisierten Applikationen her kennt. Ein Hauptvorteil des SD-WANs liegt somit darin, dass sich echtzeitnah steuern, automatisieren und optimieren lässt, wer von wo aus mit welcher QoS auf welche IT-Ressourcen zugreifen darf.
Wie wichtig flexible Steuerung der Unternehmensvernetzung sein kann, hat die Pandemie gezeigt: Heutzutage kann sich der Ort, von dem aus Beschäftigte arbeiten, schnell ändern – Lockdowns führten international zu einer regelrechten Völkerwanderung an heimische Schreib- oder Küchentische. Zugleich ist der Bestand an Applikationen und Cloud-Services ein bewegliches Ziel: Vor wenigen Jahren war zum Beispiel Zoom noch ein Videokonferenzanbieter aus der zweiten Reihe, doch während der Lockdowns mauserte sich das Unternehmen trotz anfangs durchaus bedenklicher Security- und Datenschutzmängel zur allseits bekannten Marke – und die Arbeitspsychologie nennt das verbreitete Phänomen einer Erschöpfung aufgrund nicht enden wollender serieller Videokonferenzen heute „Zoom Fatigue“.
Eine dynamische Landschaft geschäftsrelevanter Cloud-Services wird künftig normal sein, ebenso das flexible, zumindest zeitweise verteilte Arbeiten: Nicht nur, dass angesichts einer schleppend verlaufenden Impfkampagne die Überwindung von COVID-19 in weite Ferne rückt und Epidemiologen längst davon ausgehen, dass Corona künftig endemisch (also alltäglich) sein wird wie etwa die Grippe – vielmehr hat sich in der Pandemie auch gezeigt, dass Remote Work in deutlich mehr Fällen ohne Produktivitätsverlust möglich und damit praktikabler ist, als mancher zunächst dachte (sofern ein Unternehmen seine Heimoffiziere weder in die soziale Isolation noch in die Zoom-Erschöpfung treibt).
Hinzu kommt, dass zahllose Unternehmen dieser Tage alles ans Internet hängen, was nicht niet- und nagelfest ist (Stichwort „Digitalisierung“) – und dann das Niet- und Nagelfeste ebenso (Stichwort „Internet of Things“). Dieser Trend erfordert wiederum eine flexibel per Software steuerbare Vernetzung der Maschinen, Anlagen und sonstiger „Dinge“. Der Nährboden für einen florierenden SD-WAN-Markt ist also vorhanden. So geht das erwähnte Analystenhaus Research and Markets davon aus, dass das SD-WAN-Segment von 1,4 Milliarden Dollar 2020 bis 2030 auf stolze 43 Milliarden erblühen wird – ein jährliches Durchschnittswachstum von 38,6 Prozent.
Was leider ebenfalls wächst, ist das Sicherheitsrisiko, das die eskalierende Vernetzung – softwaredefiniert oder nicht – mit sich bringt: So berichtete der Branchenverband Bitkom Anfang August, dass Datendiebstahl, Spionage und Sabotage der deutschen Wirtschaft inzwischen jährlich einen Gesamtschaden von 223 Milliarden Euro zufügen. Fast neun von zehn Unternehmen (88 Prozent) seien 2020/ 2021 Ziel von Angriffen gewesen. Security erweist sich damit endgültig als drängendste Baustelle des allgegenwärtigen Digitalisierungsprojekts.