Kaum ein Bereich der IT-Branche ist in den vergangenen Jahren so "explodiert" wie die Nachfrage nach Videokonferenzen im Zuge der Pandemie. Die Lösungen haben sich nach langer Entwicklung in der Business-Welt etabliert. Doch viele Unternehmen müssen nach schneller Einführung jetzt nacharbeiten.
Noch Ende 2019 hätte wohl niemand mit dieser Entwicklung gerechnet. Denn seit Jahren, sogar Jahrzehnten haben Analysten dem Markt für Videokonferenzen (sowohl Soft- als auch Hardware) ein rasantes Wachstum zugesprochen. Tatsächlich fiel dieses jedoch stets deutlich gemächlicher aus. Zwar konnten sich entsprechende Lösungen vor allem in Großunternehmen und international agierenden Konzernen etablieren. Der wirtschaftsweite Erfolg, besonders im KMU-Umfeld ist bisher aber ausgeblieben. „Wir haben uns das gerade zu Beginn immer viel schneller vorgestellt, einen viel massiveren Durchbruch der Videokommunikation erwartet“, sagt Sven Damberger, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters MVC. „Viele technische Innovationen brauchen aber länger für eine Marktdurchdringung, als man das eigentlich annehmen mag.“
Die Gründe sind vielfältig. Einerseits gilt der deutsche Markt im Vergleich zu beispielsweise den USA oder auch Skandinavien als langsamer in der Annahme von neuen Technologien. „Dass uns andere Länder in puncto Digitalisierung zum Teil weit voraus sind, ist kein Geheimnis“, stellt Peer Stemmler, Head of DACH bei Zoom, fest. In deutschen Unternehmen habe es viele Skeptiker gegeben, was modernes und flexibles Arbeiten angeht. Andererseits galt es aber auch, technologisch noch zahlreiche Hürden zu nehmen. In den frühen 2000er Jahren waren die Lösungen oft komplex, schwierig einzurichten, kaum standardisiert und vor allem teuer. Müssen Unternehmen heutzutage für eine Meetingraum-Lösung wenige Tausend Euro einplanen, lagen die Kosten vor nicht allzu langer Zeit noch teils im sechsstelligen Bereich. Hinzu kommt, dass die nötigen Bandbreiten nur selten verfügbar waren – es mancherorts teils heute noch sind – und eine gute Audio- sowie besonders Videoqualität nur selten zuließen. Seitdem hat sich technologisch aber viel bewegt. Die verfügbaren Lösungen sind leistungsfähiger, flexibler, kleiner, nutzerfreundlicher, kompatibler und nicht zuletzt günstiger geworden. Consumer-Services wie Facetime, WhatsApp und Skype haben ihr übriges getan, um Videokommunikation zu einer breiten Anwenderbasis quer durch die gesamte Gesellschaft zu verhelfen. Für den seit Jahren erhofften Durchbruch im Business-Umfeld sorgten aber letztendlich die kaum vorhersehbaren Entwicklungen der vergangenen Monate.
Aufgrund der Corona-Pandemie mussten unzählige Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Büro ins Homeoffice senden. Sie standen vor der Herausforderung, in vielen Fällen über Nacht den Geschäftsbetrieb für die neuen Anforderungen zu rüsten und die reibungslose Zusammenarbeit der Teams auch über Distanzen hinweg sicherzustellen. Neben mobilen Endgeräten standen hier vor allem Lösungen für Videokonferenzen sowie entsprechende Hardware wie Webcams und Headsets im Fokus, deren Verkaufszahlen im Handel innerhalb weniger Tage in die Höhe geschossen sind. Teils waren vor allem preisgünstige Modelle aufgrund der stark eingeschränkten Lieferkapazitäten chinesischer Produzenten hierzulande gar über Wochen hinweg ausverkauft.
Verdreißigfachte Nutzerzahl
Profitiert haben neben den Hardware-Herstellern wie Logitech, Poly, Jabra, Sennheiser beziehungsweise Epos, Yealink und PC-Herstellern wie Lenovo, HP, Acer und Asus vor allem Software-Anbieter. So konnte der zuvor vergleichsweise kleine US-Anbieter Zoom seine tägliche Teilnehmerzahl von rund zehn Millionen zu Beginn des Jahres auf 300 Millionen im April, zu den Home-office-Hochzeiten, steigern. „Die Nutzung von Zoom ist in kurzer Zeit explodiert“, berichtet Stemmler im Gespräch mit funkschau. Grund des Erfolgs dürfte vor allem die Nutzerfreundlichkeit sein. Zoom gilt als besonders zugänglich für neue Anwender, bietet eine hohe Sprach- sowie Videoqualität und ist über eine Call-Länge von 40 Minuten kostenfrei. „Wer sich mit NPS Net Promoter Scores beschäftigt, wird sofort feststellen, dass Zoom erheblich öfter als alle Lösungen der Marktbegleiter von den Nutzern und Kunden weiterempfohlen wird“, unterstreicht der DACH-Chef.
Ohne Kritik schritt der Siegeszug des erst 2011 gegründeten Unternehmens jedoch nicht voran. Die Lösung stand vor allem aufgrund von Sicherheitsproblemen im öffentlichen Fokus. So fanden Forscher der Cyber-Security-Firma Cyble Daten von rund 500.000 Zoom-Accounts im Darknet, die Verschlüsselung der Kommunikation wurde immer wieder kritisiert und nicht zuletzt sorgte das sogenannte „Zoom Bombing“ für Aufsehen, also das unbefugte Betreten von Zoom-Meetings durch Dritte, die anschließend beispielsweise pornografische Inhalte posten. Doch der Anbieter hat schnell reagiert, Lücken geschlossen und die aufkommenden Bedenken ernstgenommen. „Von April bis Juli haben wir uns im Rahmen eines 90-Tage-Programms ausschließlich der Verbesserung von Sicherheit und Datenschutz gewidmet“, erklärt Stemmler. „In dieser Zeit haben wir unter anderem zahlreiche Funktionen veröffentlicht, unser Sicherheits-Team ausgebaut und uns einer externen Sicherheitsprüfung unterzogen.“ Viele Einstellungen wie Passwörter, Warteräume oder Bildschirmfreigabe seien nun standardmäßig für alle Konten aktiviert.