Die IT-Branche hat ein Genderproblem. Dabei gehört die Technologie mit zu den am stärksten wachsenden Marktsegmenten, die beste Jobperspektiven bietet. Warum also steigen trotz der hervorragenden Aussichten immer noch viel zu wenig Frauen in diese Branche ein?
Ein Grund dafür, warum die IT-Branche weibliche Azubis wie auch Führungskräfte eher abstößt, dürfte nach wie vor in seinem nerdigen Image begründet liegen. Die Software- und Hardware-Provider nebst Dienstleistungsunternehmen haben es unter dem Strich – und trotz redlicher Bemühungen – bisher nicht breitenwirksam genug geschafft, die Berufsbilder in den MINT-Berufen, also in Fächern wie Mathematik, Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaften und Technik, langfristig attraktiv für Frauen zu gestalten.
Ernüchternde Bilanz für Frauen
Aktuelle Zahlen machen das deutlich. Demnach liegt der Frauenanteil in der IT hierzulande gerade einmal bei 16,6 Prozent. Auch Technologie-Größen wie Amazon oder Facebook machen da keine Ausnahme, ihr Anteil an weiblichen Mitarbeitern beträgt laut Statista gerade einmal 19 Prozent. Nur bei Apple und Google, die sich öffentlichkeitswirksam für einen höheren Frauenanteil stark machen, sieht es mit 23 Prozent zumindest etwas besser aus. Daher überrascht es kaum, dass die wenigen Frauen in der IT auch beim Gehalt das Nachsehen haben. Denn der Gender Pay Gap liegt in der deutschen IT-Szene bei durchschnittlich 25 Prozent (siehe auch Grafik). Verdient also ein männlicher Programmierer beispielsweise 80.000 Euro im Jahr, kann die weibliche Kollegin bei gleicher Qualifikation und Ausbildung nur mit circa 60.000 Euro rechnen. Vor dem Hintergrund solch erdrückender Tatsachen wird schnell klar, nach welchen Spielregeln die IT-Branche in puncto Karriereversprechen wirklich agiert. Denn was auf der hochglänzenden Karriere-Website noch nach Gendergerechtigkeit klingt, ist in Wahrheit doch nur an eine einzige Zielgruppe gerichtet: die Männer. Da ist die Rede von guten Aufstiegschancen, Leitungsfunktionen mit Monstergehältern, eben ganz im Stil des Silicon Valley, aber wenig Identifikation mit den weiblichen Karrierebedürfnissen.
Es gibt jedoch Lichtblicke: „Für HPE als Treiber der Digitalen Transformation und der damit verbundenen Neuausrichtung ist Vielfalt und die explizite Förderung von Frauen nicht nur ein seit jeher erklärtes firmenkulturelles Ziel, sondern auch und gerade im Zusammenhang mit der Digitalisierung ein Treibstoff des wirtschaftlichen Erfolges“, erläutert Eva Faenger, Diversity Manager bei Hewlett-Packard Enterprise. Frauenkarrieren als Treiber des kulturellen Wandels, dieses Ziel verfolgt nicht nur Hewlett-Packard Enterprise, sondern auch die Unternehmensberatung Accenture oder die Hypovereinsbank. „Diese Unternehmen zeigen ein herausragendes Engagement für mehr weibliche Führungskräfte. Sie sind der Beweis dafür, dass mit innovativen Ideen und Beharrlichkeit Veränderungen im Unternehmen vorangetrieben werden können,“ sagt Barbara Lutz, Gründerin des Frauen-Karriere-Index. Diesen Weg gehen allerdings bisher noch viel zu wenig Unternehmen. Dabei müsste doch gerade diese Industrie mit ihrer Internationalität sowie ihren vielfältigen digitalen Geschäftsfeldern prädestiniert dafür sein, ein attraktives Arbeitsumfeld für Frauen zu schaffen. Warum aber tut man sich hier schon seit Jahren so schwer?
Kandidatenansprache zu maskulin
Möglicherweise liegt es daran, dass die Förderung weiblicher Fähigkeiten bisher nicht als strategisches Ziel betrachtet wurde, sondern bestenfalls als Randthema innerhalb der Personalentwicklung gewertet wird. Denn objektiv betrachtet sind die generellen Einstiegschancen für Frauen ja nicht schlechter als für Männer. Erst wenn es darum geht, die Bewerberinnen anzusprechen, trennt sich die Spreu vom Weizen. Trotz einiger lobenswerter Ausnahmen, gestaltet das Gros der Unternehmen seine Stellenanzeigen immer noch sehr maskulin. Mit der Folge, dass junge Hochschulabsolventinnen sich gar nicht erst angesprochen fühlen. Um Mädchen oder auch später Führungsfrauen stärker für die Technologie zu interessieren, lohnt es sich, Dinge wie Arbeiten in kollaborativen Teams oder die erforderlichen Dialog- und Problemlösungskompetenzen klar herauszustellen. Wer einzig und allein die technischen Qualifikationen betont, schreckt ab. Das ist umso bedauerlicher, wenn man bedenkt, dass sich die Arbeit in der IT mehr und mehr zu einer sehr kreativen und gestalterischen Aufgabe entwickelt, jenseits aller Bits und Bytes.