Ein Beispiel, dass auch hochqualifizierte Berufe von der Digitalisierung nicht ausgenommen sind, brachte letzte Woche der Tagesspiegel in Form eines Beitrags von Prof. Dr. Karin Gräslund von der Wiesbaden Business School der Hochschule Rhein-Main.
Ihr Forschungsprojekt ist die automatisierte Unternehmensbewertung und -planung mit SAP-Systemen. Gräslund zufolge könnte künstliche Intelligenz sogar der klassischen Unternehmensberatung Konkurrenz machen, wenn sich standardisiertes Beratungswissen schnell und kundenindividuell zu Strategieempfehlungen kombinieren lässt, analog der modernen "MassCustomization".
Sie zitiert den Wissenschaftler und Berater Clayton M. Christensen, der die Strategieberatung an einem "Scheitelpunkt einer schweren Erschütterung bisheriger Branchenstrukturen durch neue Technologien" sieht. Wenn gar das Geschäftsmodell von Unternehmensberatungen durch künstliche Intelligenz tangiert erscheint, welche Berufsgruppe scheint dann noch ausgenommen? Vielleicht Pfarrer?
Die Entwicklung zur "smart company" sollte also über Rationalisierung hinaus gedacht werden. Welche Auswirkungen das auf die Arbeitswelt in den Unternehmen haben wird, wird die künftige Entwicklung zeigen. Die Unternehmensberatung McKinsey prognostiziert, dass aktuelle Technologiesprünge die Arbeit von 100 bis 140 Millionen Wissensarbeiter in den Industrieländern bis zum Jahr 2025 ersetzbar machen könnten. Strategieberater der Future Management Group sagen, dass 65 Prozent der heutigen Grundschüler Berufe ergreifen werden, die heute noch nicht existieren.
Derzeit beschränkt sich die Diskussion freilich noch auf die Produktion. Im Mittelpunkt ihrer digitalen Revolution namens "Industrie 4.0" steht die durchgehende Vernetzung von der Maschine bis ins ERP-System - konkrete Anwendungen und Geschäftsmodelle sind auch nach der letzten Hannover Messe erst in Ansätzen in der Industrie angekommen, genauso wenig, wie Fragen nach der Sicherheit der Daten geklärt sind.
Und ebenso unklar ist, inwieweit die Digitalisierung Auswirkungen auf die Zahl und Qualität der Arbeitsplätze von Produktionsmitarbeitern haben wird. "Ich kann derzeit dazu nur schwer etwas sagen", sagt Dr. Sebastian Schlund vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO): "Denn belastbare Aussagen, inwieweit Industrie 4.0 unsere Arbeitswelt tangieren wird, existieren noch nicht."
"The Future of Employment", die vielzitierte Studie der Oxford-University, wonach bis zu 50 Prozent der Stellenprofile in den USA durch Automatisierung ersetzbar erscheinen, hält Schlund als Datengrundlage für unzureichend. "Hier werden auf der Basis verallgemeinerter Annahmen zur Ersetzbarkeit von Arbeitstätigkeiten Pauschalaussagen getroffen. Gegenläufige Effekte, wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch neu entstehende Geschäftsmodelle werden komplett ausgeblendet. Da ist noch weitere Forschungsarbeit notwendig!“
An welcher Schwelle sieht Schlund die Computerisierung von menschlicher Intelligenz? "Das ist eine schwierige Frage, die ich heute noch nicht beantworten kann. Aber ich verweise auf Prof. Wahlster vom DFKI, der nach über 35 Jahren Forschungsarbeit in diesem Bereich überzeugt davon ist, dass heute noch jeder Grundschüler selbst den besten intelligenten Computersystemen bezüglich seiner Alltagsintelligenz überlegen ist. Ich sehe darin vor allem die Chance, Menschen von monotonen Tätigkeiten zu entlasten."
Schlund verweist auf das positive Beispiel der "grey collar workers", die sich durch Digitalisierung in der Produktion entwickeln konnten. So werden Fabrikarbeiter nicht etwa eingespart, sondern stehen ganz anderen Anforderungen gegenüber als noch vor wenigen Jahren. Sie müssen nicht länger nur Maschinen bedienen, sondern auch komplexe Daten interpretieren und mit Entscheidern zusammenarbeiten können.
Die Grenzen zwischen Blaumann und Krawattenträger verschwimmen somit in der Fabrik der Zukunft. Die moderne Arbeits- und Organisationspsychologie nennt so eine positive Entwicklung "Job-Enrichment".