connect professional: Wie hat sich das Berufsbild von IT-Fachkräften in den letzten Jahren gewandelt und dementsprechend auch die Wertschätzung diesem gegenüber?
Andreas Sauer: Hier gibt es zwei wesentliche Ausprägungen, woran man die Wertigkeit von IT-Fachkräften für ein Unternehmen sehr gut ableiten kann. Das erkennt man zum einen daran, wie viele Register Unternehmen mittlerweile ziehen, um an die begehrten Fachkräfte zu gelangen. Denn im Schnitt bleibt eine Stelle für eine IT-Fachkraft sieben Monate unbesetzt. Daher gehen die Firmen nicht mehr nur über die klassischen Wege wie Stellenausschreibungen und Initiativbewerbungen. Sie versuchen jegliche Potenziale zu heben, um diese Kompetenzen im Haus aufzubauen. Entweder übernehmen sie Praktikanten, präsentieren sich regelmäßig auf Karrieremessen, setzen auf Headhunting, betreiben Active Sourcing oder suchen nach externer Hilfe bei den Freiberuflern. Also alle Kanäle werden permanent angezapft und auch alternative Einstiegswege (zum Beispiel für Quereinsteiger) werden populärer.
Zum Zweiten geht es heute längst nicht mehr nur um das Beherrschen einer Programmierzeile oder eines bestimmten Codes. IT-Know-how wird in jedem Unternehmensbereich gebraucht, daher müssen IT-Fachkräfte neben ihrer Fachlichkeit vor allem Soft Skills aufweisen. Es geht in erster Linie darum, dass sie starke kommunikative Fähigkeiten benötigen. Um zum Beispiel zwischen Bereichen zu vermitteln oder auf Augenhöhe mit der Geschäftsleitung über das Investment in die nächste Zukunftstechnologie zu sprechen oder auch Mitarbeitenden Ängste und Vorbehalte zu nehmen, wenn es um Automatisierung von Arbeitsplätzen durch Technologie geht. Die IT hat heute einen ganz anderen Reifegrad und Stellenwert im Unternehmen, da ohne sie weder Fortschritt noch Geschäftsbetrieb möglich ist.
Das klassische Berufsbild in der IT hat sich daher stark gewandelt. IT-Abteilungen waren früher geschlossene Einheiten, die Systeme zur Verfügung stellen. Entwickeln, Code schreiben, Administrieren. Kommuniziert wurde eher wenig. Entsprechende Fähigkeiten waren zweitrangig. IT hatte schlicht zu funktionieren. Wahrgenommen wurde die Arbeit der IT-Abteilung oft nur dann, wenn etwas nicht funktionierte. Im Rahmen der Digitalisierung ist IT inzwischen allgegenwärtig. IT ist oft der Enabler, der Innovation und neue Geschäftsideen erst möglich macht. Es gibt kaum Prozesse, die ohne IT-Unterstützung laufen. Projekte, bei denen kein IT’ler mit am Tisch sitzt sind die Ausnahme. Abteilungs- und Aufgabenprofile von IT- und Fachabteilungen gehen inzwischen fließend ineinander über. Die Sichtbarkeit im Unternehmen und das Verständnis für IT-Berufe sind dadurch stark gestiegen.
Wenn ein Projekt nicht vorankommt, weil das IT-Know-how fehlt, spüren den Fachkräftemangel alle am eigenen Leib.
connect professional: Vor welchen Herausforderungen stehen IT-Fach- und Führungskräfte in der heutigen Zeit? Inwiefern honorieren Gehälter die zu bewältigenden Aufgaben seitens der IT?
Sauer: Natürlich stehen fachliche IT-Kräfte und Führungskräfte vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen. Während die einen mit hoher Belastung durch viele unterschiedliche IT-Projekt zu kämpfen haben, müssen die anderen sich permanent gegenüber der Geschäftsleitung dafür einsetzen, dass in neue Technologien und Mitarbeiter investiert wird, gleichzeitig müssen sie die IT-Infrastruktur permanent modernisieren. Tendenziell gibt es eher bei den Führungskräften eine Zufriedenheit mit dem Gehaltsniveau, als bei den Fachkräften. Deren subjektives Leistungsempfinden deckt sich häufig nicht mit der Gehaltshöhe. Denn durch die hohe Belastung fühlen sie sich eher vom Arbeitgeber ausgenutzt.
Aktuell beobachten wir, dass viele Unternehmen versuchen, beide Fachkräfte Ebenen über ein hohes Gehalt zu ködern. Das birgt allerdings zum einen die Gefahr, dass dann nur des Gehalts wegen gewechselt wird, und nicht der Kultur wegen. Diese IT-Fachkräfte können beim nächsthöheren Gehalt schnell wieder weg sein. Man sollte sich also überlegen, worauf es einem besten nächsten Arbeitgeber wirklich ankommt, denn viele Unternehmen kennen die marktüblichen Gehaltsniveaus.
connect professional: IT-Fachpersonal ist rar gesät und wird entsprechend verstärkt gesucht. Inwiefern erweisen sich IT-Fachkräfte vor diesem Hintergrund heutzutage als „Rosinenpicker“? Welche „Rosinen“ spielen – über das Gehalt hinaus gesehen – denn eine Rolle in diesem Zusammenhang?
Sauer: Gute IT-Fachkräfte haben die Qual der Wahl, daher geben oft Kleinigkeiten den Ausschlag bei der Wahl des neuen Arbeitgebers. Neben einem guten Gehalt und erstklassigem IT-Equipment, stehen Flexibilität beim Arbeitsort und der Arbeitszeit hoch im Kurs. Daneben sind vor Allem Innovation und Investitionsbereitschaft des neuen Arbeitgebers maßgebliche Faktoren. Kann ich bei meinem neuen Arbeitgeber direkt auf S/4HANA arbeiten oder versucht er seit Jahren erfolglos, das Budget dafür zu bekommen? Hat mein neuer Arbeitgeber schon in die Cloud migriert? Haben sie schon Data Lakes? – Denn nicht nur die Arbeitgeber suchen Fachkräfte mit Know-how in neuesten Technologien. Auch die IT’ler haben wenig Lust auf einen Wechsel, wenn sie dort mit Systemen von vorgestern arbeiten sollen.