Technologien gegen den Fachkräftemangel

Was wäre, wenn Programmieren so einfach wäre wie PowerPoint?

9. November 2023, 11:00 Uhr | Autor: Sven Pietsch / Redaktion: Diana Künstler
© deagreez/AdobeStock

Der IT-Fachkräftemangel ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance. Denn Technologien wie No-Code-Plattformen und KI können den Druck auf IT-Teams mindern und die Entwicklung von Anwendungen beschleunigen. Vorausgesetzt, es wird in Weiterbildung und Umschulung investiert.

Dieser Artikel beantwortet unter anderem folgende Fragen:

  • Wie gestaltet sich der IT-Fachkräftemarkt in Deutschland?
  • Wie kommt die Digitalisierung hierzulande voran?
  • Was sind Gründe für die schleichende Entwicklung?
  • Welche Rolle spielen die Automatisierung und neue Technologien?
  • Wie können sogenannte Citizien Developer:innen gefördert werden?

Wir alle kennen solche Situationen. Momente, in denen wir uns fragen: Warum scheint es mit der Digitalisierung immer noch so schwierig zu sein in Deutschland?
Fragen wir nach den Ursachen dafür, so liegt ein Grund immer direkt auf der Hand: IT-Fachkräfte. 137.000 IT-Fachkräfte fehlten Deutschland in 2022 laut der aktuellen Bitkom-Studie1. Der Fachkräftemangel, welcher lange im Vorfeld angemahnt wurde, hat uns nach langem Wegschauen nun eingeholt und Deutschlands Digitalisierung fest im Griff.

Das explosive Wachstum der Technologiebranche und die zunehmende Digitalisierung in fast allen Branchen haben den Bedarf an IT-Experten:innen in die Höhe getrieben. Laut aktuellen Statistiken leiden Unternehmen in Deutschland unter einem akuten Mangel an IT-Fachkräften, und diese Lücke wird voraussichtlich in den kommenden Jahren noch weiterwachsen.

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Aktuelle Zahlen zum IT-Fachkräftemangel

Laut einer aktuellen Studie des Bitkom-Verbandes2 wissen wir, dass lediglich elf Prozent der von der Ampel-Koalition geplanten 334 Digital-Vorhaben umgesetzt worden. Zwei Drittel befänden sich in der Umsetzung. Die schleichende Digitalisierung sei der „Bremsklotz für das digitale Deutschland“, so der Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Hinsichtlich der Digitalisierung der Verwaltung sei Deutschland in den Augen Wintergersts ein „Failed State“.

Während der Pandemie wurde Deutschland ein Aufschwung in der Digitalisierung nachgesagt, der 2022 kaum noch zu spüren war. Der Digitalisierungsindex3 stieg von 107,9 im Jahr 2021 nur geringfügig auf 108,9 in 2022.

Hinsichtlich der Qualifizierung der IT-Berufe kann die Lücke als fast schon bedauernswert empfunden werden – zumindest laut den Zahlen des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung4: Durchschnittlich 33.932 offene Stellen für IT-Experten mit Hochschulabschluss konnten nicht besetzt werden, was ein Anstieg um 76,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Auch bei den Fachkräften mit Berufsausbildung hat sich die Lücke um 77,3 Prozent auf 2.213 Stellen vergrößert.

Woran liegt die schleichende Entwicklung?

Bohrt man aber etwas tiefer, dann stellen wir ein viel gravierenderes Problem fest: Prozesse. Wenn man heute als Fachabteilung eines deutschen Mittelständlers, aber auch als globales Tech-Unternehmen ein Digitalisierungsprojekt starten möchte, dann erfolgt im ersten Schritt die Ideenfindung, aus der anschließend ein Konzept erstellt wird. In den meisten Fällen wird hierfür PowerPoint verwendet. Das Konzept wird intern diskutiert, Mockups werden erstellt und die IT-Abteilung wird unterrichtet. Oft lautet die Standardantwort: Wir brauchen erstmal ein Lastenheft. Also wird erneut viel geschrieben und am Ende steht die Frage: Entwickeln wir selbst oder brauchen wir Support? Normalerweise wird jetzt die IT-Leitung die Hände über den Kopf zusammenschlagen und Worte wie „Keine Ressourcen“ murmeln. Also wird entweder extern vergeben oder eine lange Suche zum Einkauf einer externen Softwarelösung gestartet. Im schlimmsten Fall wird öffentlich ausgeschrieben. Im Schnitt hat sechs Monaten nach der Formulierung der Idee nach wie vor niemand angefangen, auch nur eine Zeile Code zu schreiben. Wird sich nach langwierigen Recherche- und Beschaffungsprozessen für eine bestehende Lösung entschieden, tritt schnell die große Ernüchterung ein, weil die gewählte Lösung die Anforderungen doch nur eingeschränkt abdeckt und diese nicht mit sich ändernden Prozessen und Anforderungen angepasst werden kann. Die Folge sind mangelhafte und frustrierende Digitalisierungslösungen oder immer neue Software-Change-Projekte, welche zu hohen Kosten führen.

Die Rolle der Automatisierung und neuer Technologien

Während wir bereits von Prozessen sprachen, stehen vor allem die Prozesse der Automatisierung und neuer Technologien im Vordergrund. Diese sollen nicht nur dazu beitragen, den Druck auf IT-Teams zu verringern, indem sie die Entwicklung und den Betrieb von Anwendungen vereinfachen, sondern sie sollen helfen, die vorhandenen Ressourcen effizienter zu nutzen und Raum zur Weiterentwicklung bieten. Aber vorrangig sind sie darauf ausgerichtet, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, indem sie von nicht oder weniger geschulten Personalien genutzt werden können, um eigenständig Prozesse zu digitalisieren – ganz ohne die Unterstützung der IT.

Moderne Technologien wie DevOps ermöglichen die Automatisierung von Entwicklungs- und Betriebsprozessen. Dies verbessert die Softwarebereitstellung durch die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Entwicklungs- und Betriebsteams. Künstliche Intelligenzen ermöglichen es Unternehmen, ihre IT-Ressourcen effizienter zu nutzen. Beispielhaft zu nennen wäre der „GitHub Copilot“, welcher sich darauf konzentriert, die Codevervollständigung vorzunehmen, indem er Vorschläge für Codezeilen oder ganze Funktionen direkt in integrierten Entwicklungsumgebungen (IDEs) liefert. Somit können repetitive Aufgaben, die zuvor manuell ausgeführt wurden, automatisiert werden. Das führt nicht nur zu einer erheblichen Zeitersparnis, sondern reduziert auch das Risiko menschlicher Fehler und steigert die Zuverlässigkeit von Anwendungen und Systemen.

Und was wäre, wenn Programmieren so einfach wäre wie PowerPoint? So könnte man die Vision vieler No-Code-Lösungen beschreiben. Diese Anwendungen können heute nicht nur im Frontend verwendet werden, zum Beispiel beim Erstellen von Websites, sondern werden mittlerweile auch ins Backend gebracht. Somit können auch Laien, komplexe IT-Anwendungen selbstständig, ohne Programmierkenntnisse zu erstellen. Genauso wie wir Anfang der 2000er jedem beigebracht haben, Excel und PowerPoint zu verwenden, sollten die Mitarbeiter:innen in den Unternehmen lernen, Webanwendungen eigenständig zu erstellen. Keine komplizierten Konzepte mehr – stattdessen einfach kreieren. Wenn versehentlich Fehler auftreten, können diese unkompliziert korrigiert werden. Auf diese Weise werden IT-Entwicklungszeiten von durchschnittlich sechs bis 12 Monaten auf wenige Stunden reduziert.

Dieser Ansatz ermutigt sogenannte Citizen Developer, also nicht-professionelle Entwickler:innen innerhalb einer Organisation, ihr kreatives Potenzial zu entfalten. Diese engagierten Mitarbeiter:innen können komplexe Aufgaben übernehmen, ohne eine formale IT-Ausbildung haben zu müssen. Die Fähigkeit, Anwendungen, ohne eine umfassende technische Ausbildung, zu entwickeln, verleiht unserer modernen Arbeitswelt eine beispiellose Demokratisierung. Mit Low-Code- und No-Code-Technologien können Geschäftsanwender:innen und Fachexpert:innen ihre individuellen Anforderungen in die Tat umsetzen und so den Entwicklungsprozess erheblich beschleunigen. Diese Ansätze reduzieren die Abhängigkeit von hochqualifizierten Entwickler:innen und ermöglichen es Teams aus verschiedenen Abteilungen, aktiv an der Anwendungsentwicklung teilzunehmen.

Gemeinsame Anstrengungen sind erforderlich

Der IT-Fachkräftemangel in Deutschland ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance. Er zwingt uns, über den Tellerrand zu schauen und neue Wege zu gehen. Doch um diese Chance zu nutzen und Deutschlands digitale Zukunft zu sichern, bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung von Unternehmen, Regierungen und Bildungseinrichtungen. Unternehmen müssen verstärkt in Weiterbildung und Umschulung investieren, um neue Talente zu erschließen. Die Regierung muss die Rahmenbedingungen schaffen, die es Unternehmen ermöglichen, in die Ausbildung und Qualifizierung von IT-Fachkräften zu investieren.

Aber in erster Linie ist Innovation der Schlüssel, um den IT-Fachkräftemangel nachhaltig zu bewältigen. Neue Technologien wie No-Code-Plattformen, künstliche Intelligenzen und Automatisierung können dazu beitragen, den Druck auf IT-Teams zu reduzieren und die Entwicklung von Anwendungen zu beschleunigen. Die Förderung der Innovation in der Technologiebranche ist nicht nur ein Schritt zur Lösung des Fachkräftemangels, sondern auch ein Weg zu Perspektiven und Ideen.

Die digitale Transformation Deutschlands ist eine gemeinsame Aufgabe, die wir nur durch koordinierte Anstrengungen bewältigen können. Wenn Unternehmen, Regierungen und Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten, können wir sicherstellen, dass Deutschland auf der digitalen Weltbühne wettbewerbsfähig bleibt und sein volles Potenzial ausschöpft.

Sven Pietsch, CEO Innoloft

1 https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutschland-fehlen-137000-IT-Fachkraefte#_
2 https://www.bitkom.org/Monitor-Digitalpolitik
3 https://www.de.digital/DIGITAL/Navigation/DE/Lagebild/Digitalisierungsindex/digitalisierungsindex.html
4 https://www.iwkoeln.de/studien/regina-flake-jurek-tiedemann-anika-jansen-fachkraeftemangel-in-it-berufen-gute-chancen-fuer-auf-und-quereinsteigende.html


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