Viele Firmen werden nach der Corona-Krise nicht wieder vollständig zur Präsenzkultur zurückkehren. Der Einsatz von Videokonferenz- und anderen Kollaborationslösungen wird auch in Zukunft selbstverständlich sein. Denn er bietet Unternehmen die Möglichkeit, Geschäftsreisen zu reduzieren und Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten. So belegt eine vor zwei Jahren veröffentlichte Studie der Stanford University, dass Homeoffice sogar produktiver ist als das Arbeiten im Büro. Und nicht zuletzt kommen Unternehmen damit ihren Mitarbeitern entgegen und können sich als attraktive Arbeitgeber präsentieren. Denn die Mehrheit der Homeoffice Worker begrüßt die neue Flexibilität, wie eine Umfrage der Technischen Hochschule Köln von Anfang April bestätigt.
Aber ist das jetzt schon „New Work“ – die neue Arbeitswelt, die speziell von den Generationen Y und Z seit Jahren eingefordert wird? Sicherlich nicht. Mit der selbstverständlichen Nutzung von Collaboration-Technologien werden die Grundlagen jedoch gerade geschaffen – und zwar nicht nur in technischer Hinsicht. Auch andere Merkmale von New Work, die den Beschäftigten mehr Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum einräumen, dürften durch den Erfolg des Homeoffice einen Schub erfahren. Ob Work-Life-Balance, Co-Working-Spaces, agiles Projekt-Management, Transparenz, Feedback-Kultur oder flache Hierarchien: Die lange diskutierte Vision einer Arbeitswelt, die von Flexibilität, Freiraum und Selbstverwirklichung geprägt ist, nimmt Gestalt an. Nicht nur Unternehmen beginnen zunehmend, ihre Strukturen dahingehend anzupassen. New Work als Idee von stärkerer Individualisierung und Flexibilisierung von Arbeitsprozessen beginnt auch, das traditionelle Modell des festen Angestelltenverhältnisses sukzessive zu verändern.
Wandel der Unternehmenskultur
Die Akzeptanz des Homeoffice auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sowie der Freelancing-Boom haben gezeigt, dass es sich bei den Kernaspekten von New Work – Vertrauen und Eigenverantwortung – nicht um weltfremde Idealvorstellungen der jüngeren Generationen handelt. Es sind vielmehr realistische Werte, die zu mehr Motivation und Zufriedenheit führen – und letztlich zu besseren Ergebnissen. Damit setzt die neue Arbeitswelt aber auch eine entsprechende Unternehmenskultur voraus. Selbst Führungskräfte, die bislang nie über Homeoffice oder den Einsatz freier Mitarbeiter nachgedacht hatten oder vergleichbaren Themen sogar ablehnend gegenüberstanden, sehen zunehmend, dass es funktioniert. Um New Work umzusetzen, müssen sie jetzt nicht nur offener für flexible Arbeitsmodelle werden. Sie müssen auch für den damit einhergehenden Wertewandel bereit sein.
Denn nicht nur die Krise erfordert hier ein Umdenken, sondern auch die fundamentalen Veränderungen, die einher gehen mit der Digitalisierung, der Globalisierung, dem demografischem Wandel, dem Fachkräftemangel, dem Übergang zur Wissensgesellschaft und nicht zuletzt mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit, die exemplarisch für einen Wertewandel auf Mitarbeiterseite steht. Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmen die Verlagerung von Tätigkeiten ins Homeoffice nicht als zeitlich befristeten Notfallplan verstehen. Sondern als den Beginn einer neuen Arbeitskultur, durch die sie sich langfristig Fachkräfte sichern können und die sie in Zeiten disruptiver Veränderungen zukunftsfähig macht.
Simone Seidel ist Director People Central Europe bei Sage
Eine Ad-hoc-Studie der Technischen Hochschule Köln vom April 2020 zeigt, dass nur 20 Prozent der Befragten ihre Produktivität im Homeoffice geringer einschätzen als vor der Pandemie. 37 Prozent sind der Meinung, dass die Produktivität gleich sei und sogar 42 Prozent der Homeoffice-Beschäftigten betonen, dass sie produktiver sind. Wie es in der Studie unter der Leitung von Professor Dr. Christian Ernst heißt, widerspreche dieses Ergebnis der teilweise vom Management genährten Vermutung, dass Beschäftigte im Homeoffice zu sehr abgelenkt werden oder auch die Arbeit nicht so ernst nehmen wie im Betrieb. Das Arbeiten zuhause sei ein Gegenentwurf einer auf Anwesenheit und Überwachung angelegten Arbeitsmoral, wie sie in traditionellen Unternehmenskulturen noch oftmals vorherrsche. Die Corona-Krise könnte diesbezüglich – auch in Anbetracht der Ergebnisse dieser Studie – ein Umdenken fördern. |