Milliarden für eine europäische Chipproduktion, Prämie für Elektroautos, CO2-Abgaben, Mindestlohn oder gar die Zerschlagung zu mächtiger Digitalkonzerne: Die unsichtbare Hand des Marktes regelt schon lange nicht mehr. Nun schlägt das Pendel aus in Richtung starkem Staat – nicht nur in Deutschland
Wenn ein Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler die Bundeskartellbehörde besucht, ist das ein Zeichen für ein neues Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft. Robert Habeck (Grüne) stärkt dabei die Arbeit der Kartellbehörde, wenn er anlässlich seines Besuchs am Montag dieser Woche sagt: „Wir nehmen Ordnungspolitik ernst und setzen auf ein zeitgemäßes Wettbewerbsrecht, das von einem starken und unabhängigen Kartellamt durchgesetzt wird“. Dabei geht es vor allem auch um Wettbewerb in digitalen Märkten, wie Kartellamtspräsident Andreas Mundt mit Blick auf den Koalitionsvertrag den Auftrag seiner Behörde skizziert: Den Verbraucherschutz stärken, Wettbewerb und Nachhaltigkeit enger verzahnen und große Internetkonzerne einhegen. Man wolle hier „noch schlagkräftiger werden“.
Tech-Konzerne, allen voran dem GAFA-Konglomerat, droht Ungemach. Google, Amazon, Facebook, Apple haben Größe und Marktmacht erreicht, wie einst Monopolisten in der Ölindustrie vor mehr als 100 Jahren. Rockefellers Standard Oil setzte damals die US-Regierung mit dem Sherman Antitrust Act von 1890 ein Ende. Freilich erst viele Jahre später wurde der Monopolist in viele Einzelgesellschaften zerschlagen. Das gleiche Schicksal droht nun Facebook, nachdem die US-Handelsbehörde FTC im zweiten Anlauf mit ihrer Klage gegen den Konzern erfolgreich war und das revidieren will, was sie Facebook vor Jahren noch erlaubt hatte: Den Kauf von Whatsapp und Instagram.
Starke statt unsichtbare Hand des Marktes
Der Staat macht Wirtschaftspolitik. Wieder muss man sagen oder besser: er hatte sich nie ganz zurückgezogen aus seiner ordnungspolitischen Verantwortung. In Notzeiten wie der Finanzkrise wurde er gebraucht. Hunderte von Milliarden pumpte er in die Rettung havarierter Banken. Nicht einmal die Verstaatlichung von Banken hatten glühende Verfechter einer neoliberalen Marktwirtschaft damals kritisiert. Kein Wort war von jenen Ökonomen zu vernehmen, die der unsichtbaren Hand des Marktes stets das Wort redeten. Warum auch, wenn der Staat bei der Vergesellschaftung plötzlich fragil gewordener Geschäftsmodelle so dringend gebraucht wird?
Mit einer unsichtbaren Hand, der Nichteinmischung des Staates in sich scheinbar selbst regulierende Märkte, wäre die Finanzwelt und mit ihr die Wirtschaft wohl in die größte ökonomische Krise der Neuzeit geschlittert. Die EZB-Anleiheaufkäufe, direkte Folge der Finanzkrise, bestehen bis heute. Eine ausgesetzte Schuldenbremse ist selbst bei der FDP, der historisch die Rolle des Hüters dieser unsichtbaren Hand eigentlich gebührt, hoffähig geworden.
Milliarden gegen Krisen und für KI & Co
Habeck und die neue Koalitionsregierung in Berlin werden den selbst ernannten Aufbruch und die Modernisierung der Wirtschaft ganz sicher nicht dem Markt alleine überlassen können und wollen. Milliarden Subventionen von Deutschland und der EU sollen schließlich in eine europäische Chipproduktion fließen (43 Milliarden bis 2030), Prämie für Elektroautos und Sanierung von Wohngebäuden fließen, Förderungen für KI, für grünen Wasserstoff sind budgetiert, Kurzarbeitsgeld und Corona-Überbrückungsgelder für Unternehmen bleiben wohl noch über Jahre im Fokus staatlicher Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Bürger und die Wirtschaft mit CO2-Abgaben belastet, der Mindestlohn erhöht. Ein „neuer Superstar“ (Die Zeit) tritt stärker denn je auf: Der Staat. Er lasse das Dogma verblassen, dass es der Markt schon richten werde.
Nicht nur in Deutschland wird der Instrumentenkasten wirtschaftspolitischer Regulierung ausgepackt. In den USA und auch in China wollen die Regierungen nichts dem Zufall und schon gar nicht einer unsichtbaren Hand überlassen. Das 1,9 Billionen Dollar schwere Konjunkturpaket, das US-Präsident Joe Biden zum Amtsantritt in Aussicht stellte, zeigt die Entschlossenheit von Staaten, die mehr als nur Rahmenbedingungen für die Wirtschaft festlegen wollen.