Eine umfassende All-IP-Umstellung im Unternehmen kann sich enorm komplex gestalten und sich über viele Ebenen der technischen Infrastruktur erstrecken. Die IT-Abteilung muss sich daher intensiv mit dem Thema IP-Telefonie beschäftigen, das entsprechende Know-how aufbauen oder gegebenenfalls externe Dienstleister an Bord holen. „Grundsätzlich verfügen große Unternehmen natürlich über mehr Ressourcen, mehr Erfahrung und größere Teams – und sind somit zumindest auf dem Papier besser aufgestellt, um anspruchsvolle Migrationsprojekte erfolgreich zu stemmen“, so Starface-CEO Buzin. Die Kehrseite der Medaille sei aber, dass die Infrastrukturen, die Anforderungen und die Prozesse in einem großen Unternehmen umgekehrt wesentlich komplexer seien als im KMU-Segment. „Die Erfahrung zeigt daher, dass meist nicht die Unternehmensgröße, sondern eher die angestrebte Integrationstiefe entscheidend ist.“
Komplexität, hohe Ressourcenanforderungen oder auch das Angebot verschiedener Telekom-Mitbewerber wie Vodafone, ISDN auch über 2018 hinaus anzubieten – viele Faktoren sprechen aktuell dafür, dass sich der IP-Umstellungsprozess im Geschäftskundenumfeld weit über das laufende Jahr hinaus erstrecken wird. „Totgesagte leben länger – auch in der Telekommunikation“, erklärt Bert Wilden, Leiter des Telekommunikationsvertriebs bei QSC. „Bestandteile von BTX wurden beispielsweise bis ins Jahr 2007 genutzt. Wir werden also sicherlich auch noch in einigen Jahren bei Unternehmen ISDN-Systeme vorfinden.“ Eine harte Abschaltung Ende 2018 hält Mathias Pasquay von Pascom ebenfalls für wenig realistisch und „technisch teils nicht möglich“. „Anbieter wie die Telekom können Stand heute selbst noch keinen adäquaten Vielkanal-SIP-Anschluss zum Beispiel zum Ersatz mehrerer S2M-Anschlüsse anbieten.“
Beständiger Strom an Umstellungen
Trotz tickender Uhr: Im vierten Quartal wird es laut Markus Michael „keine große Panik“ geben. „Die Telekom selbst liegt derzeit anscheinend hinter ihrem eigenen Zeitplan, sodass aus unserer Sicht die Umstellung länger dauern wird als bis zum Jahresende. Beispielsweise will die Telekom erst demnächst eine Lösung vorstellen, die die klassischen PMX-Anschlüsse ablösen kann.“ Bezüglich der Primärmultiplexanschlüsse hatte der Bonner Netzbetreiber im vergangenen Mai erklärt, dass die entsprechenden Kunden nicht in der veröffentlichten Quote der bereits umgestellten Unternehmen von 85 Prozent erfasst sind. Die Zahl der potenziellen Spätumsteller fällt daher merklich größer aus. „Bestimmt wird es einige Unternehmen geben, die kurzfristig eine Lösung suchen, aus Unsicherheit, was mit ihren Leitungen passieren wird“, so Michael. „Mit unserer Erfahrung gehen wir davon aus, dass der Großteil der Unternehmen weiterhin die bisherige Technik oder Übergangslösungen wie Gateways nutzen wird.“ Dadurch komme es in den nächsten zwei bis drei Jahren zu einem beständigen Strom an Umstellungen.
Von einem plötzlichen Umbruch im Markt, der auch die unternehmensinterne Infrastruktur, nicht nur die Anschlüsse, einschließt, kann trotz straffem Zeitplan also kaum die Rede sein. Ferrari Electronic erwartet beispielsweise eine verstärkte Migration der Telekom-Kunden in 2019, geht aber davon aus, dass sich die gesamte Phase bis circa 2023 hinziehen wird. „Da in die Weiterentwicklung von ISDN nicht mehr investiert wird, werden die Nutzer sukzessive zurückgehen“, so Leschke.