Die großen Marken dieser Welt wollen heute als Unternehmen gelten, die ihren Beitrag zum Wohl der Menschheit und damit auch gegen den Klimawandel leisten. Da bilden IT-Konzerne keine Ausnahme. Cisco zum Beispiel hat, durchaus branchentypisch, die Messlatte für sein Umweltengagement sehr hoch gelegt: Im September 2021 gab der IT-Ausrüster bekannt, man wolle bis 2040 „Net Zero“ erreichen, also treibhausgasneutral agieren – und zwar inklusive Scope 3 gemäß Greenhouse Gas Protocol, sprich: über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, vom Lieferanten bis zum Kunden.
Die Herausforderung: Laut Ciscos „Purpose Report 2021“ („purpose“: Sinn und Zweck) entstehen 73 Prozent der Treibhausgase beim Einsatz der Cisco-Lösungen. Weitere 25 Prozent hat Cisco an seine Lieferkette ausgelagert, nur zirka ein Prozent des Ausstoßes fällt im Hause Cisco selbst an. „Net Zero“ bei Kundenunternehmen kann der IT-Ausrüster aber gar nicht garantieren, will er nicht auch als deren Ökostromlieferant auftreten – außer man stützt sich auf den umstrittenen (und nicht global skalierbaren) Zertifikat-Ablasshandel.
So konzentriert sich der Anbieter auf Bereiche, die er konkret beeinflussen kann: „Wir verwenden so weit wie möglich erneuerbare Energie für unsere Gebäude, in Deutschland beziehen wir nahezu 100 Prozent Ökostrom,“ sagte Jutta Gräfensteiner, die bei Cisco in Deutschland das Thema Nachhaltigkeit verantwortet, zu LANline. In Ländern, wo dies unmöglich ist, investiere man in die Erzeugung erneuerbarer Energie. Doch der große Hebel seien die eigenen Produkte, hier wolle man möglichst viel Energie sparen: „Cisco Silicon One zum Beispiel benötigt 95 Prozent weniger Energie bei 35 Prozent mehr Leistung.“ Ein weiteres Ziel sei es, bis 2025 alle Produkte nach Kreislaufwirtschaftskriterien zu entwickeln.
Auch auf Partner wolle Cisco einwirken: „Es wird eine Sustainability-Zertifizierung für Partner geben, die wir im Mai launchen werden“, so Gräfensteiner. „Mit ihr verbunden sind Trainings, Trade-ins sowie Vertriebs-Incentives. Außerdem habe Cisco im Oktober einen weltweiten Nachhaltigkeitswettbewerb für Vertriebspartner vorgestellt und über eine Million Dollar an Preisgeldern für nachhaltige Ideen und Lösungen ausgelobt. „Nachhaltigkeit ist in Deutschland nun erstmalig Bestandteil des Country Plans, bislang war das ein Thema ausschließlich auf weltweiter Ebene“, erläutert sie. Was nun ansteht: ein Konzept für die Umstellung der Firmenflotte auf E-Fahrzeuge, eine Shortlist für die Partnerschaft mit Umweltverbänden in Deutschland sowie gemeinsame Projekte und Initiativen mit Vertriebspartnern.
Hybrid Work klimagerecht gestalten
Als Anbieter der Flugvermeidungssoftware Webex setzt Cisco für Nachhaltigkeit auch auf Remote Work. Laut Gräfensteiner erwarten 58 Prozent der Cisco-Belegschaft weltweit, nach der Pandemie hybrid arbeiten zu können. Dies unterstütze Cisco „absolut“. Manch eine deutsche Führungskraft aber beäugt das Home-Office (genauer: mobiles Arbeiten) skeptisch, befürchtet man doch, die Heimoffiziere nicht ausreichend im Blick behalten zu können. Frank Roth, Vorstand des Softwarehauses AppSphere, rät: „Unternehmen sollten dazu übergehen, den inhaltlichen Mehrwert der Arbeit für das Geschäftsziel zu messen statt der geleisteten Arbeitszeit.“ App-Sphere halte zudem monatlich „Begeisterstunden“ ab, um Motivation, Teamgeist und Unternehmenskultur zu fördern.
Diese drei Aspekte sind laut Katharina Jessa, die bei Cisco Deutschland das KMU-Geschäft leitet, zentral, um Nachhaltigkeit in Unternehmen zu verankern: „Wir kommen aus einer Welt, in der alles verfügbar war, in der die meisten Menschen sich keine Gedanken über den eigenen Carbon Footprint machten“, so Jessa gegenüber LANline. „Heute geht es um die Frage: Wie hilft man den Kollegen, ein Verhalten zu ändern, das über Jahrzehnte akzeptabel war?“
In ihrem eigenen Team habe sie letztes Jahr bestätigt gesehen, dass Meetings auch ohne Reisen möglich sind. „Wichtig ist es, das Bewusstsein zu schärfen, dass jede Reise Einfluss auf den CO2-Ausstoß hat“, betont sie. „Die Arbeitgeber sind gefordert, Prozessketten und Entscheidungsszenarien so anzupassen, dass Nachhaltigkeitdenken gefördert wird.“
Beim Thema Remote Work liegt Jessa die Frage der Unternehmenskultur am Herzen: „Zunächst geht es darum, den Menschen zu vertrauen, dass sie zu Hause effektiv arbeiten können. Andernfalls stellt sich die Frage: Warum traut man es der Belegschaft nicht zu, in den eigenen vier Wänden selbstbestimmt zu arbeiten?“ Hier komme intrinsischer Motivation und dem Verständnis des „Purpose“ große Bedeutung zu: „Wir haben bei Cisco über alle Ebenen hinweg sehr viel Zeit investiert, um zu ermitteln: Was bedeutet unsere Arbeit für den Sinn und Zweck des Unternehmens?“ Wer genau den passenden Job habe, sei auch im Home-Office motiviert. „Vorgesetzte“, so Jessa, „müssen also heute weitaus öfter Check-ins machen – nicht zur Arbeitsleistung, sondern zur Person: Was beschäftigt die Person? Wo kann man vielleicht Unterstützung anbieten?“
Problemfall Metaverse
Remote Work kann CO2 sparen, etwa wenn sich global verteilte Teams auschließlich online treffen. Allerdings arbeiten Facebook, Microsoft und auch Cisco an einer immersiven Online-Welt, dem „Metaverse“, das die CO2-Bilanz von Remote Work durch mehr Rechenaufwand zu verdüstern droht (siehe und den Videoclip). Setzt sich das Metaverse durch, lautet das dystopische Worst-Case-Szenario: Ein Teil der Menschheit flüchtet sich für Arbeit, Spaß und Spiel in eine bunte digitale Parallelwert, während die richtige Welt für einen anderen Teil unbewohnbar wird. Klingt nach Kassandra-Ruf, aber die Frau hatte ja nicht unrecht.
Fazit: Dass sich Unternehmen ambitionierte Nachhaltigkeitsziele setzen, ist nicht nur löblich, es ist heute zwingend notwendig. Remote Work kann zum Klimaschutz beitragen, etwa indem Flugreisen entfallen. Die Borderstep-Erkenntnisse aber zeigen: Mobiles Arbeiten hilft der CO2-Bilanz nur, wenn sich die Beschäftigten im Home-Office wie auch jenseits der Arbeit klimafreundlicher verhalten. Erreichen lassen sich die Ziele der Firmen also nur, wenn die Belegschaft mitzieht – bei der Arbeit wie auch privat. Die Saat dafür keimt in immer mehr Unternehmen. „Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe“, sagte der weise, leider kürzlich verstorbene dm-Gründer Götz Werner. Anders formuliert: Jetzt heißt es durchstarten – grüner wird’s nicht!