Der Trend zu Abo-Modellen und „As-a-Service“ hat sich bei Verbrauchern inzwischen etabliert – etwa beim Streaming oder Musikhören per Spotify. Nutzer besitzen den Content zwar nicht, er steht ihnen aber jederzeit zur Verfügung. Kann das auch im Bereich industrieller Fertigung funktionieren?
Der Artikel liefert unter anderem Antworten auf folgende Fragen:
Was zunächst etwas seltsam klingt, ist es in Wahrheit keineswegs. Und wirklich neu ist es auch nicht: Schon 1962 hat Rolls Royce die Zahlung seiner Motoren und des entsprechenden Zubehörs mit einem Festpreis nach dem „Power by the Hour“-Prinzip betrieben. Damit war das Unternehmen ein echter Pionier dessen, was wir heute „Servitization“ nennen. Inzwischen haben die Digitalisierung und andere Technologien vieles möglich gemacht – und immer mehr Hersteller bieten vergleichbare Modelle an, um ihr Wachstum damit zu befeuern.
Grundsätzlich hat Servitization drei Hauptstufen:
Die ersten beiden Stufen – Bereitstellung von Ersatzteilen sowie von Wartungs- und Reparaturarbeiten – werden in der Fertigungsindustrie schon länger zur Generierung externer Umsätze eingesetzt. Im Fokus steht die dritte Stufe: Das Angebot von Maschinen und Anlagen auf vertraglicher Basis mit der konkreten Nutzung im Mittelpunkt. Das bringt den Anwendern – insbesondere KMUs – grundsätzlich mehr Flexibilität bei ihren Investitionen, weil Ressourcen freiwerden.
Interessant ist dabei vor allem die Wartung von Maschinen und Anlagen durch ihren Hersteller. Hier stehen mehrere Modelle zur Auswahl. Am weitesten fortgeschritten ist dabei die vorausschauende Wartung („Predictive Maintanance“) auf Basis einer Echtzeit-Datenanalyse aus dem laufenden Betrieb.
Bislang gab es hauptsächlich zwei Service- und Wartungsmodelle: das reaktive und das präventive. „Reaktiv“ erklärt sich von selbst: Geht etwas kaputt, wird es ausgetauscht. „Präventiv“ geht einen Schritt weiter und definiert regelmäßige Überprüfungs-Intervalle, bei denen bestimmte Teile routinemäßig ausgetauscht werden – bevor sie kaputtgehen.
Was wie eine clevere Strategie klingt, ist in Wahrheit nicht besonders effektiv: Oft werden Teile unnötig ausgetauscht. Das kostet Zeit und Geld. Und es belastet die Umwelt. Hinzu kommen die unvermeidliche Betriebsunterbrechung sowie die damit verbundenen Unannehmlichkeiten für den Nutzer.
Um des Problems Herr zu werden, setzen Hersteller zunehmend IoT-Technologien und Sensorik zur Generierung und Analyse von Daten aus dem laufenden Betrieb ein. Das ist der erste Schritt zu einer echten faktenbasierten, vorausschauenden Wartung. Genau diese Technologien haben einen signifikanten Einfluss darauf, dass Hersteller nun eigene Servitization-Modelle in Gestalt neuer Predictive Maintenance-Angebote entwickeln können.
Die Modelle basieren auf den Kriterien „Zustand“ oder „Abnutzung". Sensoren überwachen sämtliche relevanten Punkte. Die am weitesten fortgeschrittenen Wartungsmodelle nutzen dabei IoT-Technologie, damit die Daten online gesichtet werden können. Das macht die Wartung zu einer faktenbezogenen Angelegenheit, bei der wirklich nur diejenigen Teile ausgetauscht werden, die keine lange Lebensdauer mehr haben. Das minimiert Ausfallzeiten und spart bares Geld. Zudem freuen sich Kunden und Umwelt.
Die Generierung von Daten ist aber nur ein Teil des gesamten Modells. Es braucht auch anspruchsvolle Lösungen für die Analyse, damit aus Rohdaten verwertbare Informationen werden. Dabei gilt es auch, den berüchtigten „Data Overload“ zu vermeiden. Es ist also erforderlich, die Daten gewissermaßen zu entschlüsseln, um der Störung im Maschinenbetrieb auf die Spur zu kommen. Mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellem Lernen (ML) ist das problemlos möglich, sodass klar wird, ob, wo und wann Handlungsbedarf besteht. Damit sind alle Voraussetzungen erfüllt, um im Anschluss gezielt zu intervenieren. Die von der Lösung generierten Informationen und vor allem Empfehlungen müssen in jedem Fall hundertprozentig vertrauenswürdig sein. Genau da kommt die KI ins Spiel. Sie ist in der Lage, relevante Beobachtungen zu erkennen, zu klassifizieren – und eben auch plausibel zu begründen.
Technologie ist auch die Basis für die Entwicklung der nächsten Stufe smarter Wartung, bei der die Nutzer von „vorausschauend“ zu „proaktiv“ übergehen. In den entsprechenden Modellen verkauft der Hersteller Resultate, also konkreten Output, anstelle von Ausrüstung. So veräußert etwa ein Aufzughersteller nicht mehr seine Systeme, sondern umfassende Mobilität für die Nutzer im betreffenden Gebäude oder der Anlage. Der Bauherr hat naturgemäß weniger Interesse und Leidenschaft für Seile, Motoren oder Kabinen, das Hauptaugenmerk liegt darauf, dass die Aufzüge stets funktionieren. Genau das soll der Service leisten. IoT-Technologie und State-of-the-Art-Analytics machen es möglich. Im Endergebnis wird der Aufzugbetrieb dann genauso zur Dienstleistung wie das Streamen über Netflix.
Die Verkopplung der genuinen Nutzer- und Herstellerinteressen schafft echte Win-win-Situationen für alle Beteiligten. Der Hersteller ist umso motivierter, Top-Qualität zu liefern, weil er damit auch den Service mit der höchsten Wertschöpfung anbieten kann. Darüber hinaus gewinnt er wertvolle Einblicke in die Nutzungspraxis, die selbst die üblichen Remote-Datenerfassungsprozesse in dieser Form nicht liefern können. Das bringt ihm sowohl Erkenntnisse in die tatsächliche Auslastung als auch in die Art der Interaktion mit den Menschen vor Ort als Basis für eine stetige Optimierung des Anlagenmanagements.
Zudem stellt Servitization sicher, dass Hersteller zu strategischen Partnern werden, die das Kundenbusiness zu ihrer Sache machen – und ihre Motivation mithin intrinsisch wird. Der Hersteller hat nach dem neuen Modell seine Rolle und Funktion für den Nutzer gestärkt und wird zu mehr als „nur“ einem Ausrüstungslieferanten. Nicht zuletzt bekommen die Anbieter von Advanced Services so auch Einsicht in die Daten der Produkte und Dienstleistungen ihrer Kunden und gewinnen Erkenntnisse, die zu einem immer wieder verbesserten Anlagendesign führen.
Vor allem der mentale „Umschwung“ dürfte vielen Herstellern nicht ganz leichtfallen. Aber wer ihn bewältigt, wird reich belohnt: mit loyaleren Kunden und höheren Einnahmen durch entsprechende Abo-Modelle. Ein guter Startpunkt ist es hier, schon den Verkaufsprozess als isolierte Transaktion zu begreifen, sondern zu schauen, was sich daraus in der Folge entwickeln lässt: im besten Fall eine langlebige strategische Partnerschaft mit dem Käufer.
Möglich macht die umfassende Servitization in diesem Bereich die digitale Transformation traditioneller Prozesse durch zeitgemäße Technologien. Zu ihrem zentralen Versprechen gehört die Möglichkeit, immer wieder neue Geschäftsmodelle entwickeln und umsetzen zu können. Hier erfüllt sie dieses Versprechen in jeder Hinsicht – zumal die Nachfrage trotz vereinzelter Skepsis da ist und wächst, denn auch die Anwender stehen in einem harten Wettbewerb und müssen jede Gelegenheit nutzen, sich auf der einen Seite von ihrer Konkurrenz zu differenzieren und auf der anderen Seite ihre eigene Effizienz zu maximieren – bei möglichst geringen Kosten.