Die meisten Unternehmen wollen nachhaltiger werden. Oft scheitert es aber an den Kosten. Mit dem richtigen Ansatz können produzierende Unternehmen ihre Effizienz und Nachhaltigkeit allerdings gemeinsam steigern. Möglich wird dies durch die Entwicklung in Produktlinien und Software-Lösungen.
Das Thema Nachhaltigkeit wird in nahezu allen Unternehmen wichtiger. In knapp der Hälfte der deutschen Wirtschaftsunternehmen ist das Thema laut „Sustainability Transformation Monitor 2023“1 sogar bereits „voll und ganz“ oder zumindest „überwiegend“ verankert. In anderen besteht dagegen noch großer Nachholbedarf. Mit der Befragung, die von nun an jährlich durchgeführt werden soll, wollen die Bertelsmann Stiftung und die Universität Hamburg gemeinsam mit weiteren Partnern die Treiber, Erfolgsfaktoren sowie Hemmnisse identifizieren, die auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit relevant sind. „Der Sustainability Transformation Monitor hilft uns zu verstehen, wo die Wirtschaft beim Umbau hin zu mehr Nachhaltigkeit noch Nachholbedarf hat – insbesondere beim brennenden Thema Klimaschutz“, sagt Philipp Wesemann, verantwortlicher Projektmanager der Stiftung Mercator.
Allerdings stellt sich bei der Suche nach mehr Nachhaltigkeit unweigerlich die Frage, was im Einzelfall unter dem Begriff verstanden wird – und welche Ziele damit verfolgt werden. Denn wie die Umfrage ebenfalls zeigt, hält sich die Begeisterung in vielen der befragten Unternehmen schnell in Grenzen, wenn es allein um Klimaziele geht. Zwar ist oftmals der Wille vorhanden, umweltschonender zu produzieren und zu handeln. Doch nur die allerwenigsten Unternehmen können oder wollen es sich offenbar leisten, allein aus Gründen des Umweltschutzes ihre Prozesse auf den Kopf zu stellen.
Geht es nach Danilo Beuche, ist dies allerdings auch nicht notwendig. „Mit dem richtigen Ansatz lassen sich Nachhaltigkeit und Effektivität gemeinsam steigern“, sagt Beuche, Honorarprofessor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Dies gilt vor allem für produzierende Unternehmen, deren Lösungen und Produkte einen hohen Software-Anteil haben. „Mit Hilfe von Product Line Engineering und einer entsprechenden Software-Lösung fürs Varianten-Management können Unternehmen selbst komplexe Produktlinien ganzheitlich betrachten, anstatt jedes Produkt einzeln entwickeln zu müssen“, erklärt Beuche. „Durch die systematische Wiederverwendung von Materialien und Softwarekomponenten über komplette Produktlinien hinweg können Unternehmen deutlich effizienter entwickeln und produzieren – und dabei auch unnötigen Schrott, Materialeinsatz und somit auch Kosten verhindern“, erklärt Beuche.
Als Mitbegründer des Magdeburger Software-Spezialisten pure-systems hat Beuche eine Lösung entwickelt, die bereits von vielen Unternehmen etwa aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie genutzt wird. Mit der Software-Lösung „pure::variants“, die auf Product Line Engineering (PLE) basiert, können Produkte letztlich nicht nur effizienter und einfacher entwickelt, sondern auch deutlich länger mit Software-Updates versorgt werden. „Somit muss die Hardware seltener ausgetauscht werden, was ebenfalls zu deutlich weniger Elektroschrott führt“, erläutert Beuche.
Auch hier ist die Vermeidung von Elektroschrott allerdings nicht der einzige Aspekt. Schließlich lassen sich mit der kontinuierlichen Bereitstellung von Software-Updates über alle Produktvarianten hinweg auch neue Business-Modelle realisieren. Unternehmen wie der FRITZ!Box-Hersteller AVM bieten umfangreiche Updates als kostenlosen Service für ihre Premium-Produkte an. Andere Unternehmen nutzen Software-Updates wiederum dafür, bereits verkaufte Produkte mit neuen kostenpflichtigen Features länger attraktiv zu gestalten. Wie etwa der E-Bike-Hersteller Cowboy zeigt, können Software-basierte Produkte nach dem Verkauf weiteren Umsatz einbringen, indem etwa eine monatliche Gebühr anfällt, damit die GPS-basierte Anti-Diebstahl-Sicherung aktiv ist.
Geht es nach dem EU-Parlament, könnte es für Unternehmen bald sogar zur Pflicht werden, regelmäßige Software-Updates zur Verfügung zu stellen. Denn Mitte Juli stimmte eine deutliche Mehrheit im Parlament für die Einführung einer neuen Ökodesign-Verordnung2, die dafür sorgen soll, dass nachhaltige Produkte in der EU zur Norm werden. Um die Lebensdauer entsprechender Produkte zu erhöhen, sollen die Hersteller zukünftig unter anderem dazu verpflichtet werden, Verbrauchsmaterialien, Ersatzteile, Zubehör sowie auch Software-Updates für einen angemessenen Zeitraum zur Verfügung zu stellen. Laut Bundesjustizministerium dürfte das bedeuten, dass Software-Aktualisierungen durchschnittlich für fünf Jahre bereitgestellt werden müssen.
Hersteller, die bislang noch nicht auf einen solchen Schritt vorbereitet sind, müssen nun also Mittel und Wege finden, sich auf die zukünftigen Vorschriften vorzubereiten.
Von Software-Lösungen, die denen sich die Vorteile von Product Line Engineering nutzen lassen, können prinzipiell also alle Unternehmen profitieren, die verschiedene Produktvarianten anbieten. Zusätzlich zu den Hardware-Komponenten lassen sich dabei auch die Software-Bausteine innerhalb einer Produktlinie wiederverwenden. Neben Ressourcen wird so auch Zeit eingespart und zugleich Fehler vermieden, da die Varianz der einzelnen Produkte nicht mehr manuell gemanagt werden muss. Durch die Automatisierung ist zudem sichergestellt, dass abteilungsübergreifend an der Entwicklung neuer Produkte gearbeitet werden kann und dass alle relevanten Informationen im Unternehmen bleiben, selbst wenn ein an der Entwicklung beteiligter Mitarbeiter das Unternehmen verlässt.
Unternehmen, die Produkte entwickeln und produzieren, müssen also nicht allein aus Umweltgründen nachhaltiger werden. Denn mit modernen Software-Lösungen lässt sich Elektroschrott und unnötiger Ressourcen-Aufwand vermeiden und gleichzeitig die Effizienz sowie der Profit steigern. Das könnte sich auch im nächsten „Sustainability Transformation Monitor“ widerspiegeln – vor allem aber in den Bilanzen der Unternehmen, die ihre Produktentwicklung entsprechend umstellen.
Tillman Braun, freier Autor
1 https://www.stiftung-mercator.de/content/uploads/2023/01/Sustainability-Transformation-Monitor_2023.pdf
2 https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20230707IPR02429/okodesign-umweltfreundlichere-und-energieeffizientere-produkte