Fachhändler sollen Kunden kompetent beraten, passende Lösungen entwerfen und diese dann selbst implementieren und warten. Nicht wenige IT-Profis stoßen hierbei an ihre Grenzen. Die Distributoren wollen verstärkt als Sparringspartner vor Ort einspringen.
Die Diagnose der Distributoren ist klar: Gerade mittelständische Systemhäuser und Fachhändler mit Firmenkunden sind angesichts der im Zuge der digitalen Transformation zunehmenden technologischen Komplexität oftmals überfordert. »Die Märkte verändern sich massiv: Die Digitalisierung führt zur immer höheren technologischen Komplexität. Viele mittelständische Partner werden nicht mehr in der Lage sein, das nötige Maß an Spezialisierung, etwa auch bezüglich der nötigen Zertifizierungen, aufzubieten. Sie brauchen einen neutralen Partner, der ihnen zur Seite steht«, konstatiert Ingram Micros Deutschlandchef Alexander Maier. Keine Frage für Maier: Dieser neutrale Partner ist im besten Fall der Distributor. Auch deshalb hat der einst auf den Produktehandel fokussierte Broadliner über die vergangenen Jahre nicht nur sein Lösungsangebot, sondern auch seine Beratungs- und Services-Kapazitäten mächtig aufgerüstet. »Wir haben heute über 300 technisch und vertrieblich zertifizierte Kräfte und umfangreiche Schulungsangebote zu allen erelevanten Themen, mit denen wir Partnern zur Seite stehen«, zählt er auf. Was vor gut fünfzehn Jahren noch ein Tabu für Ingram Micro und seine Kunden war, müsse heute als zukunftsfähiges Modell unbedingt thematisiert werden: »Die Distribution steht hier in einer ganz neuen Pflicht – wir müssen als Hersteller-neutraler Partner für den Partner beim Endkunden auftreten.«
Marianne Nickenig, Prokuristin beim VAD Westcon, beobachtet dieselbe Entwicklung – kunden- wie auch herstellerseitig: »Hersteller und Fachhändler sind heute gerne bereit, Prozesse und Services selektiv an ihre Partner in der Distribution auszulagern – ganz egal, ob es sich um die Vorkonfiguration von Endgeräten oder um den Betrieb einer Embedded-Support-Hotline handelt. So können sie sich stärker auf die eigenen Kernkompetenzen konzentrieren und das eigene Business wesentlich effizienter ausbauen.«bDie erfahrene VAD-Managerin verweist allerdings auf die lange Tradition dieser Form der Zusammenarbeit in der Value-Added- Distribution: »Die eigentliche Aufgabenverteilung entlang der Lieferkette hat sich durch die engere Zusammenarbeit aber nicht grundsätzlich verändert. Das gilt auch mit Blick auf den Kundenzugang, der ja nie exklusiv dem Fachhandel vorbehalten war: Auch die Hersteller und Distributoren nutzten schon immer eigene Kanäle, um neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kundenbeziehungen auszubauen.«
Anders als die auf den Warenabsatz fokussierten Distributionsschwergewichte, waren es die VADs im Rahmen eines Collaboration-Modells gewohnt, für die weniger spezialisierten Partner in dessen Namen vor Ort als Berater und auch Techniker ein-zuspringen. In einer vertrauensvollen Channel-Partnerschaft ist das kein Problem, sondern ein wichtiger Mehrwert für alle Beteiligten, betont Nickenig. Das Vertrauen haben sich die alteingesessenen VADs und Spezialisten über viele Jahre hinweg erarbeitet – die Partner sehen die Distributoren oftmals lieber als Sparringspartner vor Ort als die Hersteller oder andere Fachhändler, die wegen ihrer Spezialisierung im Rahmen netzwerklichen Arbeitens als Ergänzung hinzugezogen werden.
Die großen drei der deutschen Distributionsszene, Also, Ingram Micro und Tech Data, sind diesbezüglich längst soweit vorgestoßen, dass sie sich mit den alteingesessenen Spezialdistributoren mindestens auf Augenhöhe sehen. »Unsere Aufstellung ist in jeder Hinsicht konkurrenzfähig mit der eines vermeintlich spezialisierten Distributors. Unsere Kunden erwarten die glei-che Leistungsfähigkeit und unsere Industriepartner setzen vertraglich an uns die gleichen Anforderungen bezüglich technischer Zertifizierungen und dem Vorhalten von Kapazitäten – und wir erfüllen diese Anforderungen in vollem Umfang«, erklärt dazu Ingram-Micro-Chef Maier.