Die Umstellung auf IP bringt nicht nur einen neuen Anschluss mit sich, sondern verändert auch die Rolle der TK-Anlage innerhalb der Unternehmensinfrastruktur. Aus einem isolierten System wird ein wichtiger Bestandteil der Lösungslandschaft, der Funktionen weit über die Telefonie hinaus liefern muss.
Die Telefonanlage hat einen langen Weg hinter sich. Was Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit der manuellen Vermittlung durch das „Fräulein vom Amt“ begann, wurde spätestens in den 80er Jahren durch voll automatisierte und digitalisierte Technologien abgelöst. ISDN: eine Revolution, der Grundstein der jetzigen Kommunikationstechnologie und bis heute ein Standard, der unter vielen Nutzern als leistungsfähig und vor allem zuverlässig gilt. „Ein gemeinsames schnelles und digitales Netz für alle Kommunikationswege, für Sprache und Daten, für Texte und Bilder“, schreibt der Telekom-Blogger George-Stephen McKinney über ISDN. „Im Jahr 2016 klingt das selbstverständlich. Doch im Deutschland des Jahres 1989 bedeutete es sozusagen den kommunikativen Mauerfall.“
Eine Revolution mit Fortsetzung. Mit der Umstellung der deutschen Netze auf IP werden weitere Mauern fallen. Denn trotz aller Entwicklung war die Telefonanlage auf Basis von ISDN bis dato ein extern und intern weitestgehend isoliertes System. „Das hat sich grundlegend geändert“, erklärt Detlev Lunge, Produktmanager bei Auerswald. „Heutige ITK-Systeme sind Server, die oft vielfältig mit anderen IP-basierten Applikationen verknüpft sind.“ Besonders in Hinblick auf Unified Communications, also die kanal- und siloübergreifende Kommunikation, sehen Anbieter und Marktexperten viel Potenzial. Was zuvor nebeneinander existierte, soll jetzt zusammenkommen. „Es wird künftig nur noch eine Infrastruktur für die Übertragung von Daten und Sprache geben, Unternehmen müssen also keine doppelten Infrastrukturen mehr aufbauen“, sagt Steffen Ebner, Vertriebsvorstand B2B beim Distributor Komsa. „Mit IP haben Unternehmen die Möglichkeit, ihre gesamte Kommunikation neu aufzustellen.“
Mitbewerber Soft-PBX und IP-Centrex
Mit der Zusammenführung von Internet und Telefonie geht für die klassische TK-Anlage aber auch eine verstärkte Konkurrenz einher. Neben On-Premise-Varianten sind Cloud-Dienste oder Soft-PBX-Varianten im Kommen, die für viele Unternehmen eine attraktive Alternative darstellen. „Cloud-Telefonanlagen bieten systembedingte Vorteile bei der standortunabhängigen Nutzung und Administration“, sagt Steffen Hensche, Leiter Marketing und Kommunikation bei Easybell. Der Telekommunikationsanbieter hat kürzlich eine eigene Cloud-Telefonanlage auf den Markt gebracht, sieht den Einsatz aber nur dort als sinnvoll an, wo auch eine „ausreichend dimensionierte Internetanbindung“ vorhanden ist. „Größere Standorte mit hunderten von Seats und mehr sind leichter über eine lokale Lösung zu managen“, so Hensche. „Ab einer gewissen Größe belasten interne Gespräche, die über eine Cloud-Telefonanlage geführt werden, die Breitband-Anbindung über Gebühr.“ Von einem weitreichenden Wechsel kann im Markt derzeit nicht die Rede sein. Auch Ebner von Komsa weiß zu berichten, dass die Kommunikationsalternative aus der Cloud noch etwas Zeit benötigt. „Der große Run auf IP-Centrex ist zwar noch nicht ausgebrochen, aber der Markt kommt in Bewegung.“
Die klassische PBX als Auslaufmodell? Im Gegenteil. Die Anbieter sind sich sicher, dass sich die Technologie auch über die IP-Umstellung hinaus als eigenständige Appliance durchsetzt. „Die klassische Telefonanlage – korrekterweise müsste man heute eigentlich von einem ITK-System sprechen – beherrscht den TK-Markt nach wie vor und wird sich sicherlich auch in Zukunft neben Soft-PBX und IP-Centrex behaupten können“, erklärt Lunge von Auerswald. Tim Kracker, Systemvertrieb VoIP bei Tiptel, führt weiter aus: „Viele Kunden wollen etwas zum Anfassen haben, was sie sich irgendwo hinstellen können und dem Gerät dadurch ein realer Ort zugewiesen wird.“ Abgesehen davon sei eine Appliance erprobt, Hard- und Software seien aufeinander abgestimmt und Updates auf das System zugeschnitten.
Offenheit und Vielfalt
Die TK-Anlage bleibt in vielen Unternehmen wichtiger Bestandteil der Infrastruktur, auch wenn der Wettbewerb durch alternative Modelle wie eben Cloud-Telefonie oder Soft-PBX steigt. Und doch ist abzusehen, dass sich ihre Rolle in den kommenden Jahren verändern wird und sich ihr Funktionsspektrum enorm erweitert. „Die klassische Telefonie war nie weg, sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle“, sagt Bernd Wagner, Head of Unify bei Atos Deutschland. „ Mit dem Umstieg auf All-IP ist sie allerdings endgültig ein fester Bestandteil des UCC-Werkzeugkastens.“ Laut Wagner würden wir in unserer privaten Kommunikation ganz intuitiv mit vielen unterschiedlichen Tools umgehen. „Wir telefonieren mit unserer Familie, kommunizieren über Videotelefonie mit unseren Freunden, chatten, um kurze Infos zu teilen, schreiben E-Mails – und all das egal, wo wir uns gerade aufhalten“, erklärt der Head of Unify im Gespräch mit funkschau. „Natürlich erwarten Mitarbeiter die gleiche Flexibilität auch am Arbeitsplatz.“
Für die TK-Anlage bedeutet diese Entwicklung, dass sie sowohl an Offenheit als auch an Vielfalt zugewinnen muss. So legen Geschäftskunden heutzutage Wert auf einfache Skalierbarkeit und hohe Kompatibilität mit Drittlösungen wie ERP, CRM oder CTI, hinzu kommen Funktionen und Eigenschaften wie Präsensanzeige, One-Number-Konzepte sowie Fixed Mobile Convergence (FMC), also das Zusammenwachsen von Fest- und Mobilfunknetzen sowie -endgeräten. „Die heutigen Anlagen, die wir in unserem Portfolio abbilden, liefern schon wesentliche UC-Komponenten wie Video-, Chat- oder Konferenzfunktionen“, sagt Ebner. Das hätte man früher nur über Drittlösungen abbilden können.