connect professional: Herr Heinlein, warum setzen Sie sich so vehement für digitale Souveränität ein? Und was bedeutet sie konkret?
Peer Heinlein: Digitale Souveränität ist heute keine technische Option mehr, sondern eine politische Pflicht. Wir müssen in der Lage sein, unsere digitale Infrastruktur unabhängig zu betreiben – rechtlich, technisch und wirtschaftlich. Wenn US-Plattformen über Nacht abgeschaltet werden können oder heimlich Daten abfließen, ist das keine IT-Frage mehr, sondern eine Bedrohung für unsere Integrität als Gesellschaft. Der Microsoft-Manager Anton Carniaux hat erst kürzlich in einer Anhörung und offiziell unter Eid zugeben müssen, dass Microsoft die Daten auch in seiner europäischen Cloud nicht vor einem Zugriff durch die USA schützen kann. Das kann man doch nicht ignorieren!
connect professional: Was macht Open Source in Ihren Augen zur besseren Wahl für Verwaltung und öffentliche Einrichtungen?
Heinlein: Open Source gibt Kontrolle zurück – über Code, Betrieb und Weiterentwicklung. Es ist nachhaltig, weil Software nicht verschwindet, wenn ein Anbieter verkauft wird. Und es ist effizient: Was ein Bundesland entwickelt, können andere mitnutzen. Das spart Zeit, Geld und schafft echte Innovationszyklen. Es entsteht ein digitales Gemeingut.
connect professional: Viele Entscheider:innen zögern trotzdem – aus Sorge vor Aufwand, fehlender Kompatibilität oder schlicht, weil der Wechsel unbequem scheint. Was sagen Sie denen?
Heinlein: Vendor-Lock-in ist bequem… bis es richtig teuer wird. Wer heute nicht handelt, zahlt morgen den Preis. Ja, der Umstieg erfordert Aufwand. Aber besser jetzt als in fünf Jahren. Und besser kontrolliert als abhängig. Wir liefern dafür Lösungen: nicht nur Software, sondern einen Weg zur digitalen Selbstbestimmung.
connect professional: OpenTalk wurde von Ihnen komplett neu entwickelt. Warum dieser radikale Schritt?
Heinlein: Jitsi und BigBlueButton waren solide Grundlagen, aber weit entfernt von dem, was eine Verwaltung oder gar ein Parlament heute braucht. Wir haben OpenTalk daher von Null an entwickelt: mit Fokus auf Sicherheit, Nutzerfreundlichkeit und Verwaltungsprozesse. Das ist keine Bastelsoftware, sondern auf dem Niveau, das auch ein Bundestag es nutzen könnte.
connect professional: OpenTalk befindet sich gerade im CC-EAL4-Zertifizierungsprozess des BSI. Was bringt diese Auszeichnung in der Praxis?
Heinlein: Sie ist mehr als ein technisches Gütesiegel. Sie beweist, dass unsere Software höchsten Anforderungen an Codequalität, Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit genügt – auf einem Niveau, das etablierte Plattformen wie Zoom oder Teams gar nicht erst anstreben. Für Behörden, die mit sensiblen Daten arbeiten, ist das ein entscheidender Unterschied. Open Source muss zeigen, dass es mindestens genauso sicher ist. Wir tun das.
connect professional: Wo liegen aktuell die größten Hürden für Open Source in der öffentlichen Hand?
Heinlein: Nicht in der Technik, sondern in der Beschaffung. Viele Vergabestellen sind unterbesetzt oder schlecht informiert. Deshalb haben wir gemeinsam mit der OSBA Kriterien und Vorlagen entwickelt, die Open-Source-Vergaben rechtssicher und einfach machen. Es braucht Copy-and-Paste-fähige Werkzeuge, keine ideologischen Debatten.