Dem öffentlichen Diskurs folgend – wie er etwa im Kontext des Weißbuchs „Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stattfindet – überprüft der Report drei Thesen zur mobilen Computerarbeit:
Die Ergebnisse der empirischen Überprüfung werden im Folgenden in Auszügen aufgegriffen.
These 1: Handlungsspielräume und zeitliche Flexibilität
Mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeitmodelle gehen in der Tat häufig Hand in Hand. Während knapp zwölf Prozent der mobilen Computerarbeiter individuell festlegbare Zeiten haben, sind es unter den stationären Computerarbeitern lediglich 3,3 Prozent. Auch mobile Offlinearbeiter arbeiten vergleichsweise häufig in individuell vereinbarten Zeitmodellen. Dies dürfte unter anderem daran liegen, dass die Zeiterfassung außerhalb des Betriebs schwerer fällt. Statt diese mittels „Stechuhr“ zu erfassen, halten sie mobil arbeitende Beschäftigte oft selbst fest, beispielsweise indem sie entsprechende Stundenzettel ausfüllen.
Trotz der nachweislich höheren zeitlichen Flexibilität sind mobile Computerarbeiter jedoch relativ häufig in dem Tempo ihrer Aufgabenerfüllung von anderen abhängig. Besonders die Abhängigkeit von den direkten Anforderungen der Kunden ist signifikant stärker als bei den stationär Beschäftigten. Eine ähnliche Diskrepanz gilt für die Arbeit nach vorgegebenen Produktions- und Leistungszielen. Hier heben sich die mobilen Offlinearbeiter deutlich von den stationären Kollegen ab – unabhängig davon, ob der Computer ein wichtiges Arbeitsgerät ist oder nicht. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Vorgesetzte das Engagement mobiler Beschäftigter nicht direkt beobachten können und sich daher stärker auf das Ergebnis als Leistungsindikator fokussieren. Mobile Beschäftigte können somit nicht autarker arbeiten, sondern sind ebenso wie ihre stationären Kollegen in verschiedene Abstimmungs- und Kontrollprozesse involviert. Anders sieht es bei den Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Arbeitsorganisation aus. In der Gruppe der mobilen Computerarbeiter gibt eine große Mehrheit der Beschäftigten an, den Ablauf, die Herangehensweise und die Taktung der Arbeit mitgestalten zu können. Ein signifikanter Unterschied ergibt sich nur im Vergleich zu den stationären Offlinearbeitern. Mobile Computerarbeiter haben aber signifikant größere Spielräume, auf andere Weise auf ihr berufliches Umfeld Einfluss zu nehmen. Der durchschnittliche Einflussgrad korreliert zudem mit der Möglichkeit, den Arbeitsablauf, die Herangehensweise und die Taktung der Arbeit mitgestalten zu können. Handlungsspielräume sind eine der wichtigsten Ressourcen im Umgang mit beruflichen Belastungen und Anforderungen. Die Einflussnahme auf die Arbeitsorganisation ermöglicht es den Beschäftigten, Prioritäten zu setzen und zeitliche Engpässe zu vermeiden. Zudem fördert das höhere Maß an Eigenverantwortung eine positive Einstellung über die Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit der Arbeit, was zum Abbau des Stressempfindens beitragen kann.
These 2: Durchmischung von Arbeit und Freizeit
Ein fest definierter Arbeitsort im Betrieb erleichtert es, Arbeit und Freizeit zeitlich zu trennen. Die Trennung von Beruf und Familie ist für 64 Prozent der Angestellten in Deutschland ein wesentlicher Grund, warum sie nicht zu Hause arbeiten wollen. Auf der anderen Seite sehen Beschäftigte, die bereits in Heimarbeit tätig sind, auch Vorteile für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weil beispielsweise Fahrzeiten entfallen und Betreuungsnotfälle abgedeckt werden können. Inwieweit Heimarbeit die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf unterstützt, wird demnach unterschiedlich bewertet. Mit Blick auf die Digitalisierung sehen die Beschäftigten überwiegend Chancen für eine bessere Vereinbarkeit. Dies trifft vor allem auf Beschäftigte zu, die bereits mit dem mobilen Internet arbeiten. Unter den mobilen Computerarbeitern hat in dem Jahr vor der Befragung im Vergleich zu den mobilen Offlinearbeitern ein dreimal so hoher Anteil mehrmals im Monat in der Freizeit gearbeitet. Noch größer fällt der Unterschied zwischen den mobilen und stationären Computerarbeitern aus. Dabei zeigt sich erneut die positive Korrelation zwischen räumlicher und zeitlicher Flexibilität. Vergleicht man die durchschnittlichen Wochenstunden zwischen mobilen und stationären Computerarbeitern, so arbeiten erstere im Durchschnitt rund vier Stunden pro Woche mehr. Sie weisen auch am häufigsten Arbeitstage von über zehn Stunden auf. Ein Teil der Zeitunterschiede lässt sich jedoch durch die unterschiedlichen tariflichen Wochenstunden zwischen den Branchen und durch den hohen Anteil an Führungskräften unter den mobilen Computerarbeitern erklären. Die Arbeitszeiten von Führungskräften liegen deutlich über denen anderer Beschäftigter.
Darüber hinaus unterliegen mobile Computerarbeiter seltener Zeiterfassungssystemen, die ihre Arbeitszeiten transparent abbilden. Dies kann zu einer höheren Unschärfe der angegebenen Arbeitszeiten führen. Möglicherweise fällt es einigen Beschäftigten ohne Zeiterfassung auch schwerer, den Ausgleich von Mehrarbeit durch Freizeit einzufordern. Ein Unterschreiten der laut Arbeitszeitgesetz gewöhnlich einzuhaltenden elf Stunden Ruhezeit kommt in der Gruppe der mobilen Computerarbeiter mehr als doppelt so häufig vor wie unter den stationären Computerarbeitern. Eine derartige Abweichung muss nicht zwangsläufig ein Verstoß gegen das Gesetz bedeuten, da es für bestimmte Branchen wie Verkehrsbetriebe oder Krankenhäuser Abweichungen zulässt (ArbZG, §5 Abs. 2). Dagegen wäre es ein Verstoß, wenn ein Bankberater um 22 Uhr eine E-Mail beantwortet und am Folgetag um 8 Uhr mit der Arbeit beginnt.
Die Flexibilisierung der Arbeitszeit pauschal zu problematisieren, ist durch die Fakten nicht gedeckt. In Betrieben existieren oftmals individuelle Absprachen zwischen dem Mitarbeiter, den Kollegen und dem Vorgesetzten darüber, wie betriebliche Notwendigkeiten und Mitarbeiterbedürfnisse austariert werden können. Dabei kommt es nicht nur auf die tatsächlichen betrieblichen Notwendigkeiten der Erreichbarkeit an, sondern besonders auch auf die unterstellten Erwartungen des Arbeitgebers. Dass diese nicht immer zutreffend antizipiert werden, zeigt der Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. 22 Prozent der Befragten gaben an, dass in ihrem Arbeitsumfeld erwartet wird, im Privatleben für dienstliche Angelegenheiten erreichbar zu sein. Es wurden aber nur zwölf Prozent der Befragten auch tatsächlich häufig im Privatleben von Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden kontaktiert. Zwei Drittel wurden hingegen selten (43 Prozent) oder nie (22 Prozent) kontaktiert. Um Erholungszeiten zu ermöglichen und unnötigen Stress der Beschäftigten zu vermeiden, sind transparente Regeln über Erreichbarkeit und Reaktionszeiten wichtig, beispielsweise bei Anfragen per E-Mail. Hier liegt eine bedeutende Aufgabe der Führungskräfte, die durch ihr eigenes Verhalten als Vorbilder wahrgenommen werden.
These 3: Betriebsklima und Bindung zum Arbeitgeber
Mobile Arbeiter haben oftmals aufgrund ihrer Abwesenheiten weniger persönlichen Kontakt zu Kollegen und profitieren weniger von den betrieblichen Angeboten wie einer Betriebskantine oder Betriebssportprogrammen. Für die Arbeitgeber stellt sich daher die Frage, ob sich die räumliche Distanz der Mitarbeiter negativ auf den Zusammenhalt in der Belegschaft und die Zusammenarbeit unter Kollegen und mit der direkten Führungskraft auswirkt. Die Mehrheit der Beschäftigten gibt an, meistens oder immer Hilfe und Unterstützung von Kollegen zu erhalten. Neun von zehn Beschäftigten geben auch an, dass sie im Allgemeinen gut mit den Arbeitskollegen auskommen. Ein großer Teil der Beschäftigten fühlt sich von ihrer direkten Führungskraft unterstützt. Die Unterstützung durch Vorgesetzte ist aus Sicht der Computerarbeiter deutlich ausgeprägter als aus Sicht der Offlinearbeiter. Ein Unterschied zwischen den mobilen und stationären Computerarbeitern zeigt sich dagegen nicht.
Mobile Computerarbeiter erleben die Zusammenarbeit mit Kollegen und den Vorgesetzten im Wesentlichen weder schlechter noch positiver als andere Beschäftigte. Anders sieht es bei den Offlinearbeitern aus, wo die Hilfsbereitschaft des Vorgesetzten deutlich schlechter bewertet wird. Räumliche Distanz schadet dem Betriebsklima demnach nicht per se. Da durch Hilfsmittel wie Videokonferenzen die Zusammenarbeit über Standorte hinweg eher leichter als schwieriger wird, ist von einer grundsätzlichen Gefährdung des sozialen betrieblichen Umfelds aufgrund hoher Mobilität der Beschäftigten nicht auszugehen. Die Befunde deuten darauf hin, dass das Betriebsklima und die Kooperationsbereitschaft untereinander durch mobile Arbeitsformen nicht leiden. Mobile Arbeitsformen sind möglicherweise sogar förderlich für ein gutes Betriebsklima. Ausschlaggebend für den Wirkungszusammenhang dürfte unter anderem sein, inwieweit mobiles Arbeiten von dem Beschäftigten selbst gewählt ist und ob im Unternehmen Strukturen existieren, die den Informationsfluss und Teamzusammenhalt fördern. Allerdings kann die Bewertung nur einseitig jeweils aus Sicht mobiler oder stationärer Beschäftigter verglichen werden. Offen bleibt, ob andere Mitarbeiter unter der häufigen Abwesenheit der Führungskraft oder mobiler Kollegen leiden. Unklar ist auch, inwieweit es Präsenzzeiten geben muss, damit ein gutes Betriebsklima erhalten bleibt.