Die Corona-Krise und ihre Folgen

Festnetz erlebt Auferstehung

30. April 2020, 15:02 Uhr | Autor: Tillmann Braun / Redaktion: Diana Künstler
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Die Corona-Krise, und das damit verbundene Homeoffice für jedermann, lässt das Festnetz wieder an Nutzer gewinnen. Stabile Leitungen, hohe Sprachqualität sowie Smart-Home-Lösungen via DECT-Basis sorgen für eine steigende Nachfrage – teils von bis zu 150 Prozent. Anbieter überdenken ihr Handeln.

In vielen europäischen Ländern ist die Anzahl der Festnetzanschlüsse in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Immer häufiger greifen Endkunden wie Unternehmen auf Mobiltelefone und andere Lösungen zu. Mit der aktuellen Corona-Pandemie und den daraus resultierenden Folgen erlebt die Festnetztelefonie derzeit allerdings ein Comeback. So verzeichnete Vodafone Deutschland im März 45 Prozent mehr Telefonate im Festnetz. Und auch seitens Telefónica hieß es, dass die Anzahl und Länge der Telefonate im März innerhalb einer Woche um rund ein Drittel gestiegen seien: „Unsere Kunden telefonieren derzeit ausgiebiger und länger miteinander.“ Die Deutsche Telekom bestätigte ebenfalls einen Anstieg der Telefonminuten, allerdings ohne konkrete Zahlen zu nennen.

Letztlich führt der erhöhte Bedarf dazu, dass erstmals seit 13 Jahren wieder mehr im deutschen Festnetz telefoniert wird. Mitunter musste man sogar ein Festnetztelefon haben, um bestimmte Dienste in Anspruch nehmen zu können. Wer zu Beginn der Pandemie wegen des Verdachts auf eine Coronavirus-Infektion eine Notfallpraxis erreichen wollte, konnte die Notfallnummer nur vom Festnetz aus anrufen. Anrufe von einem Mobiltelefon aus wurden aus technischen Gründen über ein bundesweites Call-Center geleitet, das wegen des großen Andrangs jedoch völlig überlastet war.

Auch in anderen Ländern wird Festnetztelefonie wieder wichtig
In Österreich, wo das Mobiltelefon vor allem im Privatbereich schon länger dem Festnetz vorgezogen wird, wurden in den letzten Wochen die Grenzen der Mobilfunkprovider getestet. So teilte das Forum Mobilkommunikation (FMK) in einer Aussendung mit, dass sich das tägliche Gesprächs-Volumen im Vergleich zu Vorkrisenzeiten um 81 Prozent auf 112 Millionen Minuten gesteigert hätte. Während ein Großteil der Unternehmen in Österreich noch über Festnetztelefonie verfügt, haben nur noch knapp 46 Prozent aller Haushalte einen Festnetz-Anschluss. In der Schweiz gab die Swisscom bekannt, dass das Volumen im Festnetz massiv gestiegen sei. Und als im März der Lockdown in Großbritannien verkündet wurde, nahm auch hier die Anzahl und Dauer der Festnetzanrufe stark zu, wie unter anderem Virgin Media bekanntgab. Und das, obwohl viele Menschen von zuhause aus arbeiten müssen und somit keinen Zugriff auf das Festnetztelefon in ihren Büros haben.

Erst vor rund einem Jahr hatte die britische Regulierungsbehörde Ofcom Zahlen vorgelegt, die zeigen, wie stark die Festnetztelefonie im Vereinigten Königreich über die Jahre zurückgegangen ist. Demnach sank das Gesamtvolumen bei den Festnetzanrufen zwischen 2012 und 2017 um rund die Hälfte, von 103 Milliarden Minuten auf 54 Milliarden. Der Schritt, Festnetztelefonie zugunsten von Mobiltelefonen zu streichen, könnte die Notwendigkeit beenden, sich Telefonnummern merken und diese wählen zu müssen, hatte Ofcom damals noch vermutet.

Corona-Krise könnte zu Umdenken bei Anbietern führen
Den derzeitigen Boom bei der Festnetztelefonie, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, hatte so niemand vorhersehen können. Allerdings geben Experten schon länger zu bedenken, dass es wichtige Aspekte bei der Festnetztelefonie gibt, die nicht einfach von anderen Technologien ersetzt werden können. „In Sachen Stabilität und Zuverlässigkeit ist Festnetztelefonie dem Mobilfunk klar überlegen“, sagt Ulrich Grote, Vorsitzender der ULE Alliance. „Mit entsprechenden Gateways für den Festnetzanschluss können Anbieter ihren Kunden stabile DECT-Schnurlostelefonie ermöglichen, was nicht zuletzt im Homeoffice die deutlich besser Alternative zu Handys ist. Darüber hinaus kann über die DECT-Basis mit entsprechenden Updates auch ein herstellerübergreifendes und sicheres Smart Home aufgebaut werden – inklusive zuverlässiger Sprachübertragung und -steuerung, was ebenfalls im Trend liegt“, so der Experte. „Wer das Festnetz für tot erklärt, ignoriert die vielen Vorzüge, die damit verbunden sind.“

Allein schon, um für zukünftige Ausnahmesituationen gerüstet zu sein, dürften es sich die Anbieter nun gut überlegen, ob sie ihre Festnetzstrategie nicht doch noch mal ändern. Und das nicht nur in Europa. Schließlich handelt es sich beim Festnetzt-Boom um ein globales Phänomen. „Die größte Überraschung, die wir verzeichnet haben, ist eine Zunahme von Telefonanrufen über das gute, alte Festnetz“, gab James Watts, Geschäftsführer des neuseeländischen Anbieters Inspire Net, Anfang April zu. Laut Watts hatte die Anzahl der Anrufe vom und aufs Festnetz zuvor um 150 Prozent zugenommen.

Tillmann Braun ist Fachjournalist mit Sitz in Haiterbach

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