Am Rande des D.velop Summit 2024 sprach Rainer Hehmann, Vorstand von D.velop, mit connect professional über die spezifischen Herausforderung der Digitalisierung von Geschäftsprozessen in der Öffentlichen Verwaltung.
connect professional: Zwischen Faxgerät und Cloud: Wo stehen aus Ihrer Erfahrung heraus aktuell die Organisationen des Public Sectors?
Rainer Hehmann: In den Kommunen beziehungsweise generell im Public Sector haben wir die Situation, dass dort die Digitalisierung jahrelang zwar massiv mit Geld befeuert worden ist, sie aber gleichzeitig in einer völlig falschen Richtung umgesetzt wurde. So wurde dort vor allem ein struktureller Fehler gemacht: Für jedes einzelne Fachverfahren, das in den Kommunen eingesetzt wird, musste jeweils ein Softwarehersteller zertifiziert werden. Auf diese Weise ist eine unübersichtliche Landschaft mit teilweise sehr kleinen Software-Anwendungen entstanden. Es kann aber nicht sein, dass beispielsweise eine Software für Friedhofsgärtner kompliziert zertifiziert werden muss und es dann nur zwei Anbieter in Deutschland gibt, die zugelassene Software für Friedhofsgärtner offerieren können. Das ist absurd. In anderen Branchen und Industrien denkt man nicht so. Dort hat man vier, fünf verschiedene Systeme, mit denen man über Konfiguration durchgängige Prozesse abzubilden versucht.
connect professional: Können Sie hier eine Hausnummer nennen, um wie viele Softwarelösungen innerhalb einer Organisation es dabei geht?
Hehmann: Bei einer mittleren Stadt reden wir von etwa 150 verschiedenen Softwarelösungen, die im Einsatz sind, bei großen Landeshauptstädten geht es hoch auf bis zu 230, 240 verschiedene Softwarelösungen.
connect professional: Wie wirkt sich dieser strukturelle Fehler auf den konkreten Arbeitsalltag im Public Sector auf?
Hehmann: Die Situation führt dazu, dass die Kommunen vor allem damit beschäftigt sind, diesen Software-Zoo am Leben zu erhalten.
connect professional: Sie sprachen von vier oder fünf Systemen, die notwendig und ausreichend wären. An welche Art von Systemen denken Sie dabei?
Hehmann: Da geht es um Systeme für sämtliche Finanzprozesse – zu denken wäre hier an Anbieter wie SAP oder Datev oder auch spezialisierte Ausprägungen davon. Zweitens um Systeme, die die eigentlichen Prozesse digital abbilden; das heißt Anträge, Verfügungen und Ähnliches. Hier kommen wir als d.velop platform ins Spiel, wenn es ins Dokumentmanagement oder Workflow-Management geht. Zudem braucht es Speziallösungen im Bereich der Bürgerportale. Und ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist, dass bei Kommunen auch Geoinformationensdaten eine wichtige Rolle spielen. Da dreht es sich um Fragen wie: Was passiert wo, in welcher Liegenschaft, wie sehen die Pläne aus, wie sehen die Mechanismen aus, wie diese Bereiche betrieben und gepflegt werden?
connect professional: Wird seitens der Öffentlichen Verwaltung gesehen, dass eine Engführung auf wenige Systeme nötig ist?
Hehmann: Das beobachten wir, ja. In einigen Bundesländern kommen Kreise und Kommunen auf uns zu und sagen: ,Können wir das nicht für das ganze Bundesland abgestimmt auf Basis der gleichen Prozesse und Vorgehensweise machen?‘ Das heißt, es kommt auch von unten und wird nicht nur von oben reingetragen.
connect professional: Allerdings gibt es in Deutschland komplizierte Ausschreibungsprozesse…
Hehmann: Richtig. Weil Kommunen eigenständig entscheiden dürfen, bei welchen Lieferanten sie was einkaufen, führt das zu Ausschreibungsprozessen mit komplizierten Vorgehensweisen, die sich in der heutigen Welt total überholt haben. Wir sind gerade im Austausch mit Anbietern in den Niederlanden, weil wir verstehen wollen, wie kommunale Services auch einfach funktionieren können. Wir müssen uns bei der Digitalisierung des Öffentlichen Sektors wirklich noch mal sammeln, über alles nachdenken und dann die Chance nutzen, wirklich einen Schritt weiterzugehen. Also Bürokratie abzubauen und Geschwindigkeit an den Tag zu legen. Aus meiner Arbeit in der Bundesfachkommission für den Bürokratieabbau in Deutschland weiß ich aber, dass es zumindest Einigkeit darüber gibt, dass die Kommunen künftig mehr übergreifend agierende Bereiche bilden sollten.
connect professional: Wie lange, denken Sie, wird es in Deutschland noch dauern, bis wir zum Beispiel auf dem Niveau von Estland stehen, das bei der digitalen Transformation gerne als Vorbild genannt wird?
Hehmann: Da setze ich sowohl auf LowCode Ansätze als auch auf Gen AI. Ich glaube, wenn man damit praktische Erfahrungen macht, stellt man fest, dass man durchgängige Prozesse und mit Integrationen viel einfacher umsetzen kann und so wird es deutlich einfacher werden, die Umstellungen künftig durchzuführen. Hinzu kommen die sich heutzutage bietenden Chancen zur Vereinfachung des Betriebs über einen Cloud Einsatz. Und andererseits ist es für uns in Deutschland wichtig, dass wir das jetzt einfach schnell adaptieren. Wir sollten davon abkommen, immer zu meinen, dass wir unseren eigenen deutschen Weg realisieren müssen. Stattdessen sollten wir uns andere Länder zum Vorbild nehmen.