Von den Anfängen mit MS-DOS bis zur Cloud: Warum heute kaum ein Weg an Google, Microsoft & Co. vorbeiführt.
Es begann vergleichsweise harmlos. In den frühen 1980er Jahren kaufte IBM ein Betriebssystem für seinen ersten PC, das MS-DOS hieß und von einem kleinen Unternehmen namens Microsoft entwickelt wurde. Die Software war schlicht, funktional – und der Quellcode blieb unter Verschluss. Man wollte sich schließlich schützen, beispielsweise vor Nachbau, Ideenklau und der Konkurrenz.
Dieses Prinzip setzte sich letztlich immer stärker durch. Während einige Softwarepioniere für offenen Quellcode warben, sah Microsoft in der Geheimhaltung ein Geschäftsmodell. Wer MS-DOS oder später Windows nutzte, durfte zwar mit dem System arbeiten, hatte aber keine Kontrolle darüber, was es tat oder wie es funktionierte. Die Nutzer wurden zu Konsumenten. Wer etwas ändern wollte, musste Geduld haben und warten: auf Updates, auf Patches und auf Entscheidungen aus Redmond.
Lange Zeit galt: Wer Software kauft, besitzt diese auch. Einmal erworben, ließ sich eine Version zeitlich unbegrenzt nutzen. Doch dieses Modell kippte, als Unternehmen wie Adobe begannen, Lizenzen zeitlich zu begrenzen. Die Creative Suite verwandelte sich zur Creative Cloud. Plötzlich wurde Software ein Abo. Wer nicht zahlt, verliert den Zugriff – selbst auf alte Projekte.
Was zunächst nach einem bequemen Service klang, entpuppte sich schnell als clevere Strategie zur Kundenbindung. Ohne durchgehende Zahlung gab es keinen Zugang mehr. So wurde der Nutzer endgültig vom Anbieter abhängig. Und das nicht nur beim Erwerb, sondern im gesamten Lebenszyklus seiner digitalen Arbeit.
Mit dem Aufstieg des Internets wandelte sich das Softwaremodell erneut. Ob Anwendungen, Speicher oder Rechenleistung: Alles wanderte in die Cloud. Die Konzerne versprachen Verfügbarkeit, Sicherheit und Geschwindigkeit. Was sie nicht so laut sagten: Die Kontrolle wanderte mit. Wer Google Docs nutzt, speichert nicht nur Texte, sondern auch Metadaten, Bewegungsmuster und Nutzungshistorien. Und zwar in der Regel auf Servern in fremden Rechenzentren, nach den Regeln fremder Staaten wie den USA.
Gleichzeitig wurde der Ausstieg immer schwieriger, denn von den Betriebssystemen über die App-Stores bis hin zu den E-Mail-Diensten und Videokonferenzen kommt mittlerweile oft alles aus einer Hand. Wer sich einmal auf ein solches System einlässt, bleibt darin gefangen – technisch, organisatorisch und auch wirtschaftlich. Ein Anbieterwechsel bedeutet nicht nur Aufwand, sondern auch Kontrollverlust über Daten und Prozesse.
Besonders drastisch ist diese Entwicklung im Smartphone-Markt. Hier dominieren mit Android (Google) und iOS (Apple) zwei Anbieter nahezu alles. Gemeinsam kontrollieren sie den Weltmarkt, denn ohne deren Plattformen funktioniert kein modernes Handy.
Und ohne ihre Zustimmung keine App. Denn Apple betreibt seinen App-Store als geschlossene Plattform. Wer Apps vertreiben will, braucht eine entsprechende Genehmigung. Google wiederum kontrolliert über Android nicht nur das System, sondern auch zentrale Dienste wie Maps, Mail und Play Store. Ohne diese Dienste bleibt ein Smartphone für viele Nutzer unbrauchbar.
Dabei gab und gibt es durchaus Alternativen. Open-Source-Software – also frei zugängliche Programme mit offenem Quellcode – beweist seit Jahren, dass Qualität und Offenheit kein Widerspruch sein müssen. Unternehmen wie Red Hat, GitLab oder Nextcloud zeigen, dass man als Unternehmen mit offener Software durchaus auch Geld verdienen und den Nutzern trotzdem ihre Freiheit lassen kann.
Doch die großen Anbieter torpedierten die offenen Lösungen gezielt: durch Inkompatibilität, durch Marktverdrängung, durch Lizenzbedingungen. In den 1990er Jahren versuchte Microsoft etwa mit dem „WISE“-Programm, die Verbreitung von Linux zu verhindern, indem man Entwickler mit Schnittstellen und Rabatten an Windows band. Wer draußen blieb, hatte das Nachsehen.
Die Abhängigkeit der Nutzer ist heute so groß, dass sie politisch missbraucht werden kann. Als US-Präsident Trump 2020 mit Exportverboten gegen chinesische Tech-Firmen drohte, war das kein Einzelfall. Besonders betroffen war Huawei. Das Unternehmen durfte keine Google-Dienste mehr auf seinen Android-Smartphones anbieten. Ohne Play Store, Maps oder YouTube war der europäische Markt für Huawei plötzlich kaum noch erreichbar. Als Konsequenz zog sich das Unternehmen weitgehend zurück.
Die US-Regierung kann über Gesetze wie den CLOUD Act verlangen, dass amerikanische Firmen Daten auch dann herausgeben, wenn sie auf europäischen Servern gespeichert sind. Und sie kann Unternehmen wie Microsoft oder Apple faktisch zwingen, Dienste für bestimmte Nutzer einzustellen. Dabei handelt es sich um ein Szenario, das keinesfalls mehr hypothetisch ist.
Auch auf Hardware-Ebene wurde politischer Druck ausgeübt. In Trumps Amtszeit untersagte man US-Firmen wie Qualcomm oder Intel, Komponenten an chinesische Hersteller zu liefern. Selbst wenn ein Unternehmen also eigene Software entwickelt, fehlt ohne Halbleiterzugang die Grundlage. Und was bringt das beste Smartphone, wenn es kein Betriebssystem mehr gibt – oder keine Updates mehr erlaubt sind?
Digitale Souveränität ist kein nostalgischer Wunsch. Vielmehr ist sie eine Voraussetzung für Demokratie, Innovationsfähigkeit und Sicherheit. Doch der Weg dahin ist steinig.
Damit Systeme wirklich austauschbar sind, müssen offene Standards gesetzlich gefördert werden. Zudem sollte Open Source von der öffentlichen Hand als strategische Infrastruktur behandelt und unterstützt werden – von der Förderung über den Betrieb bis hin zur Entwicklung. Wichtig ist auch, dass europäische Alternativen keine Nischenprodukte bleiben dürfen. Sie brauchen Sichtbarkeit, Unterstützung und langfristige Strategien.
Ebenfalls unverzichtbar ist ein Umdenken bei den Nutzern selbst bei der Kaufentscheidung von Hardware. Ein Beispiel dafür ist ein iPad von 2014, dass technisch noch einwandfrei funktioniert es. Aber weil Apple keine Updates mehr bereitstellt, laufen viele Apps nicht mehr. Selbst einfaches Surfen ist kaum mehr möglich. Ein eigentlich funktionsfähiges wird damit planmäßig zu Elektroschrott. Nicht durch Verschleiß, sondern durch verweigerte Softwarepflege.
Was mit einem kleinen, versteckten Stück Softwaregeschichte begann, hat sich zu einem globalen Netz digitaler Abhängigkeit entwickelt. Wir stehen an einem Punkt, an dem wir entweder gestalten – oder gestaltet werden. Digitale Souveränität beginnt in unseren Entscheidungen: für Offenheit, Vielfalt und Kontrolle durch die Nutzer. Diese Entscheidung sollte nicht irgendwann gefällt werden, sondern jetzt. Denn besser wird es von allein nicht.
Tillmann Braun, freier Journalist