NIQ/GfK-Analystin im Interview

„Distribution bleibt letztendlich ein People Business“

27. August 2025, 16:11 Uhr | Michaela Wurm
GfK-Distributionsexpertin Tatjana Wismeth
© GfK

Die deutschen Distributoren stehen zur Jahresmitte nicht schlecht da und die Aussichten für die zweite Jahreshälfte seien vielversprechend, meint Tatjana Wismeth. Vor allem bei Services und KI täten sich für die Grossisten jede Menge neue Chancen auf, so die Distributionsexpertin von NIQ/GfK.

Wie hat sich das Geschäft der deutschen Distributoren seit Jahresbeginn entwickelt?

Tatjana Wismeth: Die deutschen Distributoren konnten im ersten Halbjahr ihr Umsatzwachstum ausbauen. Mit einem Plus von 2,1 Prozent lag ihr Umsatz über den Vorjahreswerten und damit ungefähr auf dem Niveau von 2023.

Die Distributoren sind gut ins Jahr gestartet und konnten die Wachstumsraten auch über die letzten Monate halten, mit Ausnahme des Junis, der sich etwas schwächer zeigte, waren die konstant hoch. Gerade das erste Quartal verzeichnete ein Umsatzplus von 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das zweite Quartal blieb zumindest stabil auf Vorjahresniveau.

 

Gab es Bereiche, die besonders gut beziehungsweise schlecht liefen?

Wismeth:  Für Aufschwung sorgte insbesondere das Geschäft mit Resellern, das um 5,6 Prozent zulegte. Dagegen gingen die Distributionsumsätze mit Retailern um 2,4 Prozent zurück.

Der Umsatzanteil mit B2B-Kanälen erreichte dieses Jahr ein neues Rekordhoch. Insgesamt wickeln deutsche Distributoren mittlerweile 53 Prozent ihres Umsatzes mit Systemhäusern ab. Für mehr Umsatz sorgte vor allem der Mittelstand. Kleine und mittlere Systemhäuser steigerten ihren Umsatzanteil bei der Distribution auf 28 Prozent, was einem Allzeithoch entspricht.

Aber auch das Direktgeschäft der Distributoren legte leicht zu und ist seit 2021 für 8 Prozent des Gesamtumsatzes verantwortlich.

 

Gab es Produktgruppen, die besonders gefragt waren?

Wismeth:  Das Umsatzwachstum wurde vor allem durch IT-Investments getrieben. IT-Kategorien legten im Vergleich zum Vorjahr insgesamt um 8 Prozent im Wert zu.

Neben Hardware-Produkten (+2 Prozent) wurde das Umsatzwachstum abermals vor allem von Software-Investments getrieben (+23 Prozent).

Von dem bevorstehenden Windows-10-Replacement und den neuen KI-PCs, konnten wichtige Kategorien wie mobile Computer & Computing Tablets (+5 Prozent), sowie Desk-Computer (+24 Prozent) profitieren. Auch das Geschäft mit Komponenten entwickelte sich positiv (+5 Prozent).

Der Umsatz mit Servern wurden durch den KI-Trend beflügelt (+9 Prozent). Das lag insbesondere an höherpreisigen Modellen und gestiegenen Durchschnittspreisen im höchsten Preissegment, insbesondere für Rack-Server.

Im Telekommunikationssektor steigerten die Distributoren ihren Umsatz mit großformatigen Smartphones (Phablets) um 2 Prozent. Der Telekom-Sektor blieb insgesamt mit minus 7 Prozent hinter den Vorjahreswerten. Der CE-Umsatz blieb stabil im Jahresvergleich.

 

VAD und Spezialisten mit neuem Umsatzrekord

Wie schlagen sich denn die einzelnen Distributionstypen 2025 bisher?

Wismeth: Im ersten Halbjahr 2025 konnten VAD und Spezialisten einen neuen Umsatzrekord verzeichnen. Mit einem Plus von 5 Prozent im Umsatz steigerten sie ihre Ergebnisse deutlich gegenüber dem Vorjahr. Auch die Broadliner legten zu, allerdings mit knapp 2 Prozent deutlich weniger.

 

In Deutschland/DACH ist eine Vielzahl von Distributoren aktiv. Manche sagen, es sind zu viele. Vor kurzem hat die Insolvenz von Siewert & Kau die Branche aufgewirbelt. War das erst der Anfang eine Konsolidierungswelle und müssen wir mit weiteren rechnen?

Wismeth: Zuletzt haben sich die Konsumstimmung und Anschaffungsneigung bei Unternehmen zwar verbessert. Dennoch bleibt ein Spannungsfeld gerade mit Hinblick auf aktuelle internationale und politische Diskussionen. Ein steigender Preis- beziehungsweise Margendruck, die geopolitische Situation und Unsicherheiten im Markt werden Distributoren weiterhin herausfordern. Das erfordert eine geschickte Planung und Voraussicht, wie sich die Marktgegebenheiten entwickeln werden. Gerade aus diesem Grund ist es für die Anbieter wichtig, schnell auf Änderungen im Markt reagieren zu können. Datengestützte Entscheidungen können dabei helfen.

 

Für welche Distributionstypen wird es künftig schwierig, sich im Markt zu behaupten?

Wismeth: Für Distributoren stellt sich auch weiterhin die Frage der Positionierung und des Mehrwerts, den man Kunden bietet. Dies kann beispielsweise durch Spezialisierung und Value-Add Services erreicht werden. Generell sind Services zunehmend gefragt.

Mit der Steigerung von Effizienzen durch die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen – Stichwort KI – sind Skalen- und Kosteneffekte grundsätzlich gut realisierbar.

Letztendlich bleibt es jedoch ein „People Business“. Insbesondere im Projektgeschäft und im Bereich Services steht Beratung, Expertise, Zuverlässigkeit und Erreichbarkeit im Mittelpunkt. Auch wenn dies kostenintensiv zu sein scheint, kann es in der Positionierung und zur Nachhaltigkeit des Geschäfts durch Kundenbindung wertvoll sein.

 

Mit reinem Handelsgeschäft ist es offensichtlich schwierig, aber nicht jeder Distributor kann Cloud- oder Managed Services anbieten, geschweige denn KI-Angebote. Wie muss sich ein Distributor heute positionieren, um erfolgreich am Markt bestehen zu können?

Wismeth: Kunden erwarten heute einen spürbaren Mehrwert in einer Partnerschaft. Dabei kann Mehrwert in vielfältiger Weise geboten werden.

Auch wenn nicht jeder Distributor über ein vollständiges Portfolio an Cloud- oder KI-Diensten verfügt – entscheidend ist die strategische Positionierung. So können Partnerschaften mit spezialisierten Anbietern helfen, Kompetenzen zu ergänzen. Auch die Spezialisierung auf bestimmte Branchen, Kundengruppen und -segmente kann Vertrauen und Mehrwert schaffen und helfen, sich vom Wettbewerb abzugrenzen.

Wichtig ist „nah am Kunden“ zu sein, deren Herausforderungen zu erkennen und in wertvolle Lösungen und damit Geschäftsmöglichkeiten zu übersetzen. Investitionen in Know-how und Schulungen sind dabei essenziell.

In einer stark digitalisierten, schnelllebigen Welt wird erwartet, dass Geschäfte schnell und zuverlässig abgewickelt werden. Die „Basics“ müssen also stimmen. Aber gerade in einer Welt, in der viele Prozesse rein digital ablaufen, trägt guter Kundenservice, Erreichbarkeit der Ansprechpartner, Kompetenz und Beratung zu einer nachhaltigen Kundenloyalität bei.

Wie die Ergebnisse dieses Jahr zeigen, sind VAD/Spezialisten damit bereits gut unterwegs. Für Broadliner bietet sich die Möglichkeit, noch weiter in die den Service-Bereich zu investieren.

 

Erfreuliche Aussichten fürs PC-Geschäft

Wegen des anstehenden Support-Endes für Windows 10 ruhen ja große Hoffnungen auf dem PC-Geschäft. Letztes Jahr hat sich da noch wenig getan. Wie haben sich die PC-Verkäufe der Distributoren seit Jahresbeginn 2025 entwickelt und wie sind die Erwartungen für die 2. Jahreshälfte?

Wismeth: Das PC-Geschäft in Deutschland entwickelte sich für Distributoren im ersten Halbjahr 2025 sehr positiv. Sowohl mobile Computer (+5 Prozent), als auch Desk-Computer (+24 Prozent) konnten einen steigenden Umsatz verzeichnen. Während die Nachfrage nach mobilen Computern stabil blieb, sorgten Desktop-PCs nach einem etwas schwächelndem Vorjahr (-7 Prozent), nun wieder für Aufwind (+25 Prozent). Der Wechsel zu Windows 11-Geräten ist dabei in beiden Kategorien deutlich erkennbar.

Wie unser Forecasting auf unserer Plattform gfknewron zeigt, sind die Aussichten für die nächsten 18 Monate durchaus sehr erfreulich. Insbesondere mobile Computer werden im zweiten Halbjahr 2025 nochmals deutlich zulegen. Vor allem im B2B-Bereich sind positive Impulse am Point-of-Sale zu erwarten. Insgesamt dürfen sich Distributoren und Händler in dieser Kategorie also auf einen guten Jahresausklang freuen.

 

Digitale Souveränität ist derzeit europaweit das große Thema. Cloud-Anbieter mit Sitz in der EU, Softwareentwickler sowie Hardware- und Infrastruktur-Anbieter aus Deutschland sind gefragt. Können die Distributoren von diesem Trend profitieren?

Wismeth: Die Entwicklung ist positiv zu bewerten. Allerdings stehen wir hier noch am Anfang. Die Investitionsankündigungen werden sich sicherlich positiv auf den Standort Deutschland auswirken und können für Distributoren eine Chance bieten, sich als starker Partner zu positionieren. Hier ist Schnelligkeit und Positionierung gefragt. Auch für europäische Anbietet bietet das gute Möglichkeiten sich nachhaltig zu etablieren.

Der Startschuss ist also gegeben. Bei der Umsetzung kommt es nun auf verlässliche Partnerschaften an, um mittel- und langfristig von diesem Impuls zu profitieren. 

 

Das Hype-Thema KI wird noch viele stärker an Bedeutung gewinnen. Wie wird sich dadurch nicht nur das Angebot, sondern womöglich auch das Geschäftsmodell der Distributoren verändern?

Wismeth: Distributoren haben sich bisher den aktuellen Herausforderungen und der Adaption ihres Geschäfts erfolgreich gestellt. Auch wenn das Hardware-Geschäft zunehmend abnimmt, wird es weiterhin bestehen bleiben. Dennoch stellen Software und Services mittlerweile wichtige Grundpfeiler für Distributoren dar.

KI schafft weitere, vielfältige Möglichkeiten und wird diesen Bereich weiter beflügeln. Gerade bei Routine-Aufgaben hilft KI, Prozesse zu beschleunigen und Effizienzsteigerungen zu erreichen. Außerhalb von Routinearbeiten sind die Anwendungsbereiche allerdings oft sehr heterogen und kundenspezifisch.

Aufgrund der Vielzahl an KI-Anwendungen fühlen sich Kunden jedoch oft überfordert, die richtigen Lösungen zu identifizieren und den Mehrwert einer Implementierung zu erkennen. Dem Channel fällt daher eine wichtige Rolle bei der Wissensvermittlung, Aufzeigen praktischer Use-Cases und der Identifikation möglicher Applikationen sowie der Auswahl von Anbietern zu. Der Pre-Sales Bereich wird damit zunehmend wichtiger.

Als Konsequenz wird sich das Channel-Geschäft damit mehr und mehr mit einer Transformation konfrontiert sehen – von einem eher reaktiven Geschäft (Bestellung/Pull seitens Kunden) hin zu einem proaktiven Vorgehen (Beratung/Push seitens Channel).

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